Am Sonntag, 9. November um 11:00 Uhr ist es im Foyer des Basler Stadttheaters wieder so weit: Zum siebten Mal wird das beste Deutschschweizer Buch des Jahres gekürt.
Die fünfköpfige Jury hat mit ihren Nominationen eine kluge Entscheidung getroffen: Nachdem im letzten Jahr praktisch nur junge, meist wenig bekannte Namen ins Rennen geschickt wurden, präsentiert die diesjährige Shortlist einen bunten Mix.
Wie erwartet: Bärfuss und Leutenegger
Wie erwartet stehen Gertrud Leutenegger mit «Panischer Frühling» und Lukas Bärfuss mit «Koala» als mögliche Sieger zur Wahl. Ihre Romane sind viel diskutiert und beachtet worden. Bärfuss verarbeitet in «Koala» literarisch den Freitod seines Bruders; auch Leuteneggers Werk trägt autobiografische Züge. Ihre Geschichte spielt in London im Frühling 2010, als ein isländischer Vulkan den Flugverkehr in Europa lahmlegt und die plötzlich Ruhe an der Themse unter den Menschen eine ungewohnte Nähe und Vertrautheit zulässt.
Gertrud Leutenegger steht auch in Deutschland auf der Shortlist
Lukas Bärfuss und Gertrud Leutenegger figurierten bereits auf der diesjährigen Longlist für den Deutschen Buchpreis. Gertrud Leutenegger schaffte dort sogar noch den Sprung auf die Shortlist. Jetzt steht sie für beide Preise in der Schlussrunde. Ihre Chancen auf einen Sieg, zumindest in der Schweiz, sind gross.
Die Erfahrung zeigt, dass Shortlist-Nominationen in Deutschland eine gute Ausgangsposition sind: zwei der sechs bisherigen Schweizer Buchpreis-Gewinner – Rolf Lappert (2008) und Melinda Nadj Abonji (2010) – hatten im Vorfeld ebenfalls auf der deutschen Shortlist gestanden.
Experimentierfreudig, sprachlich unkonventionell: Elmiger und Helle
Eine grosse Leistung gelang auch der 29-jährigen Autorin Dorothee Elmiger. 2010 kam sie mit ihrem Erstling «Einladung an die Waghalsigen» in die Endausmarchung um den Schweizer Buchpreis. Jetzt taucht sie mit «Schlafgänger» erneut auf der Shortlist auf. Ihr Buch bietet keine Lektüre, die linear erzählt wird, sondern besteht aus Versatzstücken rund um die Thematik Migration und Vertreibung.
Ähnlich experimentierfreudig und sprachlich unkonventionell zeigt sich Heinz Helle in seinem Debüt «Das beruhigende Geräusch von explodierendem Kerosin». Ein kopflastiger Philosophiestudent versucht der Welt intellektuell beizukommen, versagt aber emotional: In seiner Beziehung zur Freundin scheint er kaum zu echten Gefühlen fähig.
Ein Schweizer Familienporträt
Selten findet auch die Mundartliteratur die Gnade der Jury. Erst Pedro Lenz überzeugte in früheren Jahren das Wahlgremium mit seinem Bestseller «Dr Goalie bin ig». Jetzt tritt Guy Krneta in seine Fusstapfen.
Sein Familienporträt «Unger üs» ist das einzige Buch aus der aktuellen Herbstproduktion, das es auf die Shortlist geschafft hat. Krneta erzählt die humorvolle und tiefgründige Geschichte einer typischen Schweizer Familie und gibt indirekt auch ein Abbild der helvetischen Mentalität während des kalten Krieges.
Wer hat die Favoriten-Rolle?
Gegründet wurde der Schweizer Buchpreis vor sechs Jahren vom Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverband (SBVV) und vom Verein LiteraturBasel – mit dem Ziel, das einheimische Schaffen vermehrt ins Gespräch zu bringen und den Buchverkauf anzukurbeln. Hinter dem Wettbewerb steht also durchaus auch der Marketing-Gedanke.
Schon deshalb scheinen Lukas Bärfuss und Gertrud Leutenegger die besten Karten im Rennen zu haben. Experimentierfreudige Literatur ist nicht jedermanns Sache; ebenso wenig ein Buch in Mundart zu lesen. Die Jury allerdings betont zu Recht immer wieder, bei der Entscheidungsfindung einzig auf literarische Qualität zu achten.
Das Rennen ist offen
Es wäre also falsch, jetzt schon den Sieger oder die Siegerin zu feiern; immerhin bleiben noch knapp sieben Wochen. In der Zwischenzeit stellen die Kandidatinnen und Kandidaten ihre Bücher an Lesungen der Öffentlichkeit vor. Und in dieser Zeit – das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre – haben etliche Jury-Mitglieder ihre Meinung kurzfristig noch geändert.
Nur so lässt sich erklären, dass meistens die als Favorit gehandelte Position am Schluss dann doch nicht auf dem Podest stand. Eine Wette würde sollte man also – auch bei scheinbar intakten Chancen – keine eingehen. Das Risiko einer Niederlage ist zu gross. Für Spannung an der Preisverleihung am 9. November ist zweifellos gesorgt.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 24.09.2014, 17:30 Uhr.