Eine Bilderbuchkarriere – buchstäblich. «Der Regenbogenfisch» aus der Schweiz hatte 1992 eine Startauflage von 30’000 Exemplaren. Mittlerweile wurde das Buch und seine Fortsetzungen 30 Millionen Mal verkauft und in mehr als 50 Sprachen übersetzt.
In den USA oder Japan kennt jedes Kind die Geschichte um den Fisch, der schöner glitzert als alle anderen Fische im Meer. Der aber auch eitler ist – und einsamer. Erst als er sein Schuppenkleid mit den anderen Fischen teilt, entdeckt er sein wahres Glück.
Die Schuppen, dieses Glänzen und Glitzern, das sofort ins Auge springt: Hat der Regenbogenfisch wirklich nur wegen seiner Silberfolie diese beispiellose Karriere hingelegt?
«Man darf nicht vergessen: Das war damals wirklich was Neues», sagt Autor und Zeichner Marcus Pfister. «Heute sieht man so etwas oft, aber Anfang der 1990er-Jahre war diese schillernde Folie ein wirklich starker Effekt.»
Die Buchhandlungen hätten das Buch auch deshalb prominent in die Schaufenster gelegt. «Mit dem auffälligen Cover verkaufte sich das Buch fast von selbst», erinnert sich Pfister.
Das Geheimnis der Glitzerschuppen
Fast wäre der Regenbogenfisch ohne Silberschuppen in die Läden gekommen. Die Heissfolien-Prägetechnik war damals neu. Pfister: «Als Grafiker kannte ich die Technik, für Visitenkarten zum Beispiel oder Briefpapier. Also für Kleindruck.»
Diese Technik bei einem so grossen Produkt wie einem Kinderbuch anzuwenden, hatte bisher niemand versucht. Durch die Folie verdoppelten sich die Druckkosten. Können wir uns nicht leisten, war denn auch die Reaktion des Verlags auf Pfisters Idee.
«Wir sind völlig überfahren worden»
Aber Pfister bestand auf die Glitzerschuppen: «Die Geschichte macht ohne Folie gar keinen Sinn. Wenn der Regenbogenfisch einfach bunt gewesen wäre, hätte das nicht gereicht. Viele Fische sind bunt. Doch nur einer schillert. Die Schuppen waren mehr als eine Verzierung, sie gehörten zum Konzept.»
Pfister verzichtete auf die Hälfte seines Honorars, um den Druck möglich zu machen. «Wir hofften einfach, dass wir die hohen Kosten des Buches wieder reinholen», erinnert sich Pfister. Mit dem Erfolg habe niemand gerechnet: «Da sind wir völlig überfahren worden.»
Die deutsche, aber auch die englischsprachige Ausgabe mussten bald nachgedruckt werden: In den USA liebten Eltern und Kinder den Fisch aus der Schweiz.
Der Verlag baut aus – und geht fast ein
Der Nord Süd Verlag hatte fünf Jahre zuvor mit dem «Kleinen Eisbär» bereits einen Verkaufshit gehabt. Nach dem Erfolg mit dem «Regenbogenfisch» sah der Verlag seine Chance, den internationalen Markt zu erobern und baute massiv aus.
2001 hatte Nord Süd 45 Mitarbeiter beim Zürcher Hauptsitz, 40 in den USA, 6 in Frankreich, 4 in Holland, 4 in Japan und weitere vereinzelt über die Welt verstreut.
Doch man hatte sich übernommen. 2004 kam die Krise, der Verlag ging fast Konkurs. Heute hat Nord Süd 12 Mitarbeitende in Zürich. In den USA gibt es immer noch eine Dépendance mit 4 Mitarbeitenden.
«Da hatte sich damals alles etwas überhitzt»
Der heutige Verlagsleiter Herwig Bitsche ist seit sieben Jahren bei Nord Süd. Sowohl «Der kleine Eisbär» wie «Der Regenbogenfisch» waren lange vor seiner Zeit erschienen. Dennoch hat er sich mit den beiden auch heute noch wichtigen Figuren intensiv beschäftigt.
«Da hatte sich damals alles etwas überhitzt», sagt Bitsche. Dem «Regenbogenfisch» tat das alles keinen Abbruch: 2017 feierte der Verlag das 25-jährigeJubiläum des Buches.
«‹Der Regenbogenfisch› ist heute immer noch eine wichtige Säule», sagt Bitsche. Für die Verlagsdépendance in den USA bildet der «Regenbogenfisch» das Rückgrat.
Sympathieträger Fisch
Dass der glitzernde Fisch diese internationale Bilderbuch-Karriere machte, lag aber auch daran, dass er ein Fisch war.
«Tiere gehören als Protagonisten im Kinderbuch zu den wichtigsten Sympathieträgern», sagt Kinderbuchexpertin Manuela Kalbermatten vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien.
Auch Autor Marcus Pfister ist sich sicher: «Geschichten mit Tierfiguren sind einfach universeller.» Ein Fisch könne in jedem Gewässer leben, in Finnland oder Australien.
Doch nur tolle Effekte und süsse Tiere reichen dann doch nicht, weiss Expertin Kalbermatten: «Dazu kam auch die sehr gute Marktstrategie eines Verlages, der international aufgestellt war.»
Eine Geschichte für alle
Neben Marketing und tierischen Sympathieträgern bleibt bei Kinderbüchern noch ein nicht zu unterschätzendes Verkaufskriterium: die Geschichte.
Die sei beim Regenbogenfisch sicher auch ein Grund für dessen Beliebtheit, so ist sich Kinderbuchexpertin Manuela Kalbermatten sicher: «Das Buch hat eine einfache, eingängige Botschaft: Wer teilt, findet Freunde. Damit lässt sich in pädagogischen Kontexten oder auch in Familien gut arbeiten.» Man dürfe nicht vergessen, dass es die Eltern sind, die Kinderbücher kaufen.
Für Marcus Pfister ebenfalls ein kritischer Punkt: «Bei Kinderbüchern muss man sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen ansprechen. Diesen Spagat muss man schaffen.»
«Zur richtigen Zeit am richtigen Ort»
Marcus Pfister war 32 Jahre alt, als «Der Regenbogenfisch» erschien – sein bis heute erfolgreichstes Werk.
Ein Glücksfall so früh in der Karriere – oder ein Fluch? Das Positive überwiege, sagt Pfister. «Der Erfolg hat mir erlaubt, Bücher zu machen, die ich sonst nicht hätte machen können. Er hat mir viele Türen geöffnet.»
Aber natürlich: Marcus Pfister wird für den Rest seines Lebens der Regenbogenfisch-Erfinder bleiben. «Man wird darauf auch reduziert. Das ist schade. Viele von meinen anderen Büchern sind im ‹Regenbogenfisch›-Rummel untergegangen.»
Marcus Pfister wird nächstes Jahr 60. Könnte sich so ein Erfolg vielleicht nochmal wiederholen? Nein, meint Pfister entschieden. «Das Buch war damals zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Dasselbe Buch heute hätte nie mehr denselben Erfolg. Das geht gar nicht mehr.»