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Hansjörg Schneiders Stadtwanderungen
Aus Kultur-Talk vom 16.05.2023. Bild: Keystone / ANTHONY ANEX
abspielen. Laufzeit 28 Minuten 22 Sekunden.

«Spatzen am Brunnen» Hansjörg Schneiders grosse Geschichte(n) auf kleinem Raum

Eine Strasse, zwei Cafés, drei Plätze. Hansjörg Schneider beschreibt das Grosse im Kleinen und erzählt in seinem Tagebuch «Spatzen am Brunnen» sein ganzes Leben anhand von Erinnerungen, die sich an wenige Orte in Basel knüpfen lassen. SRF traf ihn zum Gespräch.

«Ich habe derzeit keine Lust auf Hunkeler», sagt Hansjörg Schneider zu Beginn des Gespräches. «Auch hat sich die Idee für einen nächsten Hunkeler-Krimi als untauglich erwiesen.»

Von einer Frau hatte er schreiben wollen, die tot im Weiher des Botanischen Gartens gefunden wird und aus deren Mund ein Bergmolch kriecht: schwarzer Rücken, oranger Bauch. Das sei ihm dann aber doch zu blöd gewesen. Denn erstens seien die «Hunkeler»-Romane nicht auf scheussliche Leichenbeschreibungen angewiesen. Und zweitens habe er weder gewusst, wer die Frau ist, noch wie man in einem knietiefen Weiher ertrinken kann.

Ich treffe Hansjörg Schneider in seiner Wohnung an der Mittleren Strasse in Basel. Wir sprechen in seiner Küche, wo ich fast schon eine Art Stammplatz habe. Nur zwei Wochen ist es her seit meinem letzten Besuch, als wir über den Arbeiterdichter Heinrich Henkel sprachen. Auch der kommt vor im neuen Buch.

Alter Mann, was nun?

«Spatzen am Brunnen» ist ein Tagebuch. Ein alter Mann geht durch die Stadt, in der er jahrzehntelang gelebt hat. Er geht an Stöcken. Sein Radius ist klein und beschränkt sich auf eine Strasse mit je einem markanten Ende: dem Kannenfeldpark im Westen und dem Petersplatz im Osten.

Hansjörg Schneider auf «Ansichten»

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Legende: SRF / Lukas Mäder

Mehr zu lesen und zu hören über Hansjörg Schneider gibt's auf der SRF-Literaturplattform «Ansichten».

In der Mitte eine Kreuzung mit einem Bänkchen und einem Brunnen gegenüber. Dort setzt er sich hin und füttert die Spatzen. Dazu ein Tankstellenshop, wo man rauchen darf, und zwei andere Strassencafés.

«Diese Szenerie hat mich gereizt», sagt Hansjörg Schneider. «Der alte Mann, der schlecht zu Fuss ist und an seinen Stöcken geht, dazu der Brunnen und die Spatzen. Alles auf engstem Raum. Eine eigene Welt.»

Die Häuser und das Leben ziehen vorbei

Auf seinen Spaziergängen kommt er am Haus mit der Mansarde vorbei, wo er seine Theaterstücke geschrieben und seine Kinder gezeugt hat. Und an dem Haus an der Mittleren Strasse, wo die Lungenliga ihren Sitz hat und wo er die Sauerstoffflaschen für seine krebskranke Frau abholen musste. Vor einem Vierteljahrhundert ist sie gestorben. Noch immer fällt Hansjörg Schneider in eine Depression, wenn sich ihr Todestag jährt.

Vielleicht will ich mit meinem Schreiben auch die Schönheit der Erde und des Lebens zeigen.
Autor: Hansjörg Schneider

Trotzdem ist «Spatzen am Brunnen» weder traurig noch deprimierend, sondern hell und voller Leben. Im Brunnen an der Kreuzung badet eine junge Frau. Hansjörg Schneider beschreibt die Szene in seinem Tagebuch und feiert die Schönheit. «Ich finde die Erde und dieses Viertel hier paradiesisch. Vielleicht will ich mit meinem Schreiben auch die Schönheit der Erde und des Lebens zeigen.»

Bilder eines Lebens im Basler Brennspiegel

Ja, der kleine Raum mit den grossen Geschichten funktioniert. Ein ganzes Leben lässt sich so erzählen. Die Zeit der Kindheit, die Krise des Erwachsenwerdens, das Studium und die ersten Schritte ans Theater, ja sogar die ganze Entwicklung des Jahres 1968, die Hansjörg Schneider bei der Nationalzeitung als «Verantwortlicher für Studentenbelange» miterlebt. In Paris während des Generalstreiks, in Prag vor dem Einmarsch der Russen. Und in Basel in der Rio Bar.

Wenn es mir mal schlecht geht, gehe ich zu den Ladies und trinke Kaffee.
Autor: Hansjörg Schneider

Die Leute danken es ihm. Das Buch ist ein Erfolg. Bereits jetzt erscheint die zweite Auflage. Auch kriegt er Fanpost wie nie zuvor. Von «älteren Ladies», die ihn zum Kaffee einladen. Das sei beruhigend, sagt Hansjörg Schneider, «denn wenn es mir mal schlecht geht, gehe ich zu den Ladies und trinke Kaffee. Und bestimmt gibt es dort dann auch etwas zum Knabbern dazu.»

Buchhinweis

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Hansjörg Schneider: «Spatzen am Brunnen». Diogenes, 2023.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Talk, 16.05.2023, 9:05 Uhr

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