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Spaziergang mit Jens Steiner Ein Gespräch über Aussenseiter und «Die Ränder der Welt»

In seinem aktuellen Roman «Die Ränder der Welt» erzählt Jens Steiner die Geschichte von Aussenseitertum, Künstlerdasein und toxischer Freundschaft. SRF-Literaturredaktor Michael Luisier ist mit ihm auf einen Schneespaziergang am Rande der Schweiz gegangen.

Eins vorweg: Wir alle haben Jens Steiners Roman verpasst, als er im Sommer herauskam. Alle ausser unser Kollege Timo Posselt von der «Zeit», der eine Lobeshymne schrieb. Diese Lobeshymne und der Umstand, dass ich sowieso ständig lese, liess mich den Roman dann doch noch entdecken.

Ein knappes halbes Jahr später treffe ich Jens Steiner in Basel zu einem Spaziergang durch Kleinhüningen. Es liegt so viel Schnee wie kaum einmal in Basel. Unsere Idee, auf den Spuren seines Romans das Viertel am Rande der Schweiz abzuwandern, gerät ins Wanken. Aber wir ziehen durch. Eisern. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Aussenseiter im Basler Hafenquartier

Kleinhüningen, das Viertel, das nicht mehr richtig zur Schweiz gehört und trotzdem unser Tor zur Welt ist, interessiert uns darum, weil es so gut zu Jens Steiners Hauptfigur passt. Auch die kommt nie irgendwo an. Auch die passt nie irgendwo dazu.

Zwei Boote im gefrorenen Hafen, Menschen gehen auf Eis.
Legende: Die Kulisse des Romans sind die Schweizerischen Rheinhäfen in Basel Kleinhüningen, Rückgrat der Schweizer Rheinschifffahrt. Infolge der andauernden Kälte war der Rheinhafen im Februar 1954 zugefroren. Keystone/ PHOTOPRESS-ARCHIV/STR

Konkret geht es um Kristian, Sohn estnischer Einwanderer, Intellektuelle. Ins Fischer- und Hafenarbeiterquartier der frühen Vierzigerjahre, wo diese Geschichte beginnt, passen sie nicht. Zudem hat Kristian sechs Finger an der linken Hand, was ihn zusätzlich zum Aussenseiter macht.

Als Vierjähriger wagt er sich zum ersten Mal unter die Menschen – am Brunnen auf dem Kronenplatz, wo wir unseren Rundgang beginnen – und wird von den anderen Kindern verspottet. Mit dabei ein Junge namens Mikkel, der zu seinem besten Freund wird. Ein Leben lang wird sich Kristian gegen Mikkels Manipulationsversuche zur Wehr setzen müssen.

Eine toxische Freundschaft

Wir stapfen der Wiese entlang, die hier in den Rhein mündet, und durchs Hafenareal. Wir reden über diese Freundschaft, die man heute toxisch nennen würde, und über das vertraute Gefühl des Nichtdazugehörens. In Kristians Fall ist das durchaus auch selbstgewollt. Er lässt den Kontakt zu anderen Menschen nicht gerne zu. Weil er das, was ihn wirklich interessiert, in sich selbst sucht.

Buchhinweis

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Jens Steiner: «Die Ränder der Welt». Hoffmann und Campe, 2024.

Kristian ist Künstler. Erst Steinmetz, dann Bildhauer. Als das zieht er durch die Welt. Verbringt Jahre in Kopenhagen, wo er sich am Rande der Künstlerszene der Vor-Achtundsechziger-Zeit aufhält. Er zieht nach Italien, wo man sowieso gewesen sein muss als Künstler, und schliesslich nach Argentinien. Dort lebt er 20 Jahre lang zurückgezogen in Patagonien und vollendet sein einziges relevantes Kunstwerk.

Und immer ist da Mikkel, der Kristian wieder wo weglockt oder hinbeordert. So auch am Schluss des Romans, als Mikkel ihn auf eine Ostseeinsel einlädt, wo sich die ganze Geschichte auflöst.

Die Welt berühren

Dann erreichen wir das Dreiländereck. Diesen merkwürdigen Ort in Basel, wo was aufhört und was anderes noch nicht anfängt. Dort bleiben wir stehen und schauen über den Rhein, der nach Norden fliesst. Wir lauschen in die Stille, die hier über dem Wasser und im Schnee sowieso besonders ist. Man hört keine Autos. Man ahnt nur das Fliessen des Rheins. Untermalt von den Bässen der Schiffsmotoren.

Jens Steiner sagt, dass es Kristian darum geht, die Welt zu berühren. Um sich zu vergewissern, dass es ihn wirklich gegeben hat. Das erreicht er nur durch die Kunst. Wie Jens Steiner es nur im Schreiben erreicht. Und manchmal muss man dafür bis an die Ränder der Welt gehen, die hier in Kleinhüningen näher scheinen als anderswo.

Radio SRF 2 Kultur, Literaturclub: Zwei mit Buch, 30.12.2024, 18:30 Uhr ; 

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