1927 an der Klettenbergstrasse in Frankfurt am Main erbaut, 430 Quadratmeter Wohnfläche, kleiner Garten – für 4,1 Millionen Euro soll das ehemalige Wohnhaus des einstigen Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld zu haben sein.
Hesse, Frisch und Nizon
Die Villa war weit mehr als die Wohnstätte des Firmenpatrons. Hier verkehrten die grossen Autorinnen und Autoren der Nachkriegszeit. Unter ihnen manche aus der Schweiz: Hermann Hesse, Max Frisch, Paul Nizon.
Die Schweizer Literatur spielte im Haus Suhrkamp von Anfang an eine wichtige Rolle. Auch deshalb, weil der Verlag 1950 nur dank Schweizer Kapital überhaupt gegründet werden konnte.
Nach Siegfried Unselds Tod 2002 und den anschliessenden heftigen Querelen im Verlag, zog Suhrkamp nach Berlin. Die Frankfurter Villa steht seit 2010 leer.
Für Muschg war die Villa «unvergleichlich»
Zu Unselds Zeiten gingen an der Klettenbergstrasse Autorinnen und Autoren ein und aus, bekamen ein Zimmer, trafen sich zu Soiréen, knüpften Kontakte. Adolf Muschg war Stammgast. Er habe dort «unzählige Male übernachtet», sagt er. Man habe sich in der Villa «in einer unvergleichlichen Mischung von privat, öffentlich und utopisch» getroffen.
Gespräche über neue Stoffe, über Schreibprojekte, und die Gelegenheit für den direkten Austausch mit dem Verlagschef. Dieser habe sich auch kritisch zu Texten geäussert.
Aber als Autor, sagt Muschg, habe er sich stets willkommen gefühlt. Auch wegen Unselds Begeisterungsfähigkeit, die ansteckend und «durch nichts zu ersetzen» gewesen sei. Sie sei «die Wurzel von allem» gewesen, was Unseld tat.
Autorinnen und Autoren, die nach Unselds Tod zum Verlag stiessen, hätten «an dieser Wurzel nicht mehr naschen können». Und seien oft zu blossen «Beauftragten des Verlags» geworden – ohne das Gefühl, dessen «Repräsentanten, Väter und Brüder» zu sein.
Das Ende einer Epoche
Der Verkauf der Unseld-Villa steht für Adolf Muschg denn auch symbolisch für das Ende des Literaturbetriebs der Nachkriegszeit. Mit Siegfried Unseld gab es damals eine markante Verlegerfigur, welche die Literatur prägte wie niemand sonst. In der heutigen Zeit mit ihren völlig anderen Marktbedingungen ist eine solch herausragende Gestalt kaum mehr denkbar.
Ins Schwärmen kommt auch die Schweizer Autorin Gertrud Leutenegger, wenn sie sich an ihre Aufenthalte in der Villa erinnert. Leutenegger veröffentlicht seit den 1970er-Jahren ihre Werke bei Suhrkamp.
Siegfried Unseld habe über die Gabe verfügt, die unterschiedlichsten Autorinnen und Autoren miteinander ins Gespräch zu bringen: «Er wollte immer, dass alle aneinander teilhaben.»
Der Dienstbote des Verlegers
Immer wieder, erinnert sich Leutenegger, sei sie in der Frankfurter Villa überrascht worden. So habe ihr einmal bei ihrer Ankunft ein Herr in schwarzer Lederjacke die Tür geöffnet. Auf ihren erstaunten Blick hin habe dieser sich höflich verneigt und sich als «der Butler von Siegfried Unseld» vorgestellt. Es war Uwe Johnson.
Autorinnen und Autoren berichten übereinstimmend vom Zauber, den die Erinnerungen an die Villa der Unseld-Zeit auf sie ausüben. «Das Haus war eine fremde Heimat», sagt Adolf Muschg. Und daran erinnert zu werden, «bereitet auch Schmerz.»
Das Wohnhaus von Siegfried Unseld bot Autorinnen und Autoren über Jahrzehnte Heimat und Austausch. Und es faszinierte die Welt der Literatur – damals wie heute. Jetzt, mit dem Verkauf, wird es erst recht zum Mythos.