Wer den Roman «Vom Winde verweht» (1936) bisher auf Deutsch lesen wollte, war auf die Übersetzung von 1937 angewiesen. Seit ein paar Tagen liegt nun eine modernere Version vor, übersetzt von Andreas Nohl und Liat Himmelheber. Neu heisst das Südstaatenepos nun «Vom Wind verweht».
Doch das fehlende «E» ist ein geringer Eingriff verglichen mit den übrigen Neuerungen: Die Übersetzer haben viele problematische Formulierungen neu übertragen. Man habe den Roman damit aus der «Zone einer rassistischen Verdächtigung» holen wollen, sagt Andreas Nohl.
SRF: Aus heutiger Sicht ist die Sprache der deutschen Erstübersetzung an vielen Stellen rassistisch. Können Sie mir ein Beispiel dafür geben, wie Sie in Ihrer neuen Übersetzung damit umgegangen sind?
Andreas Nohl: Erstens haben wir das «N-Wort» nicht verwendet, sondern immer von Schwarzen oder Sklaven geredet. Der Begriff «Nigger» ist nur im Sprachgebrauch von Rassisten im Text vorhanden. Das ist genau das, was Mitchell gewollt hat.
Die Erzählstimme hingegen sollte niemanden stigmatisieren und niemanden verletzen. Wenn jedoch Rassisten rassistisch reden, dann sollte das dokumentiert sein.
Zu Lebzeiten der Autorin Margaret Mitchell wurde das Wort «Negro» im Englischen noch benutzt. Läuft man denn nicht Gefahr, die Geschichte zu beschönigen, wenn man das «N-Wort» in der Neuübersetzung durch «Schwarze» ersetzt?
Das stimmt. Aber das heisst nicht, dass ein Autor selber rassistisch sein muss. Der Begriff war zu Mitchells Zeiten kein rassistischer Begriff. Und Mitchell hätte ihn auch nicht verwendet, wenn es ein rassistischer Begriff gewesen wäre.
Deswegen fanden wir es sehr einleuchtend und auch geradezu einen Akt der Gerechtigkeit Mitchell gegenüber, dieses Buch in der Neuübersetzung aus der Zone einer solchen Verdächtigung herauszuholen. Diese Verdächtigung hat das Buch, meine ich, nicht verdient.
Margaret Mitchell ist in den Südstaaten aufgewachsen, die geprägt waren von rassistischen Gesellschaftsstrukturen. Kann man sie vom Vorwurf des Rassismus befreien?
Da haben Sie zweifellos einen wichtigen und richtigen Punkt angesprochen. Mitchell ist 1900 geboren und in einer Gesellschaft der Segregation aufgewachsen, die sie natürlich als junges Mädchen nicht in Frage stellte.
Aber das Bewegende an der ganzen Sache ist: Sie hat das Buch in den Zwanzigerjahren geschrieben. Da war sie Journalistin, und sie hat sich im Laufe dieser Arbeit weiterentwickelt. Nach meinem Dafürhalten war ihr sogar die Segregation eher unangenehm. Die Südstaatler kommen in ihrem Roman ausserordentlich schlecht weg.
Ich finde diese Entwicklung entscheidend. Mitchell wischt diese widerliche alte Südstaatenliteratur mit ihrem Roman beiseite.
Wäre es denn auch eine Option gewesen, rassistische Begriffe wie das «N-Wort» zu benutzen, aber mit einer ausführlichen Fussnote zur Geschichte?
Für mich wäre das keine Möglichkeit gewesen. Ich hätte das Buch auch nicht übersetzt, wenn ich es für rassistisch halten würde.
Wir befinden uns in der heutigen Zeit. Wir können nicht Takt und Anstand über Bord werfen, nur weil wir in einer Art von Pseudophilologie glauben, wir müssten Begriffe verwenden, die damals nicht rassistisch waren, heute aber rassistisch sind, und sie einfach so rüber transportieren in unsere Zeit ohne Rücksicht. Da ändert auch eine Fussnote nicht sonderlich viel.
Ich finde, da der Roman von Margret Mitchell als nicht rassistisch intendiert war, haben wir hier eine sehr authentische Lösung gefunden.
Das Gespräch führte Irene Grüter.