«Ich möchte mir eine Welt vorstellen, in der ein Mann mit 50 zum Arzt geht und sagt: ‹Herr Doktor, ich bekomme keine Erektion mehr und habe keine Lust auf Sex.› Und dass der Arzt dann sagt: ‹Ja, das tut mir leid. Sie werden alt. Da kann man nichts machen.› Das wäre undenkbar, oder?»
Die Gynäkologin und Autorin Sheila de Liz schüttelt ärgerlich den Kopf. «Natürlich würde der Arzt seinem Patienten helfen und Lösungen anbieten. Bei Frauen hingegen heisst es: ‹Das sind die Wechseljahre. Da müssen Sie halt durch›. Das geht doch nicht!»
Sheila de Liz redet sich in Rage, wenn es um das Thema Wechseljahre geht. Sie ist überzeugt: Hätten Männer einen vergleichbar rapiden Hormonabbau und die damit verbundenen, teils heftigen Beschwerden, wäre dies ein Dauerthema – und wären entsprechende Lösungen längst gefunden.
Ein fatales Bild
Viel zu lange wurden die Wechseljahre, wurde das Klimakterium, tabuisiert. Frau schweigt: aus Scham, wegen gesellschaftlicher Normen, Erziehung, Religion. Während man(n) in anderen Kulturkreisen den Frauen nach dem Klimakterium mit Achtung begegnet, sie als «weise Frauen» schätzt, wird diese Lebensphase in unserer Gesellschaft noch immer mit Mangel in Zusammenhang gebracht.
Die verheerende Vorstellung, dass Frauen, die nicht mehr fruchtbar sind, überflüssig, nicht mehr begehrenswert oder gar wertlos sind, ist noch immer weit verbreitet. Viele Frauen haben Angst, nach der Hormonumstellung aufs Abstellgleis geschoben, nicht mehr gesehen zu werden – und schweigen, anstatt über ihre Beschwerden, Schmerzen und Ängste zu reden.
Die Wechseljahre gesellschaftsfähig machen
Die Gynäkologin Sheila de Liz kämpft gegen dieses Schweigen, gegen das Tabu der Wechseljahre. Die Ärztin mit Praxis in Wiesbaden wird es nicht leid zu betonen, keine Frau müsse «da durch» – womöglich noch mit grossen Schmerzen. De Liz setzt sich dafür mit Vehemenz ein. Sie postet Videos auf Instagram, besucht Talkshows und löst mit ihren Büchern «Unverschämt» und «Woman on Fire» Debatten aus.
Unumwunden gibt sie zu, eine Verfechterin von körperidentischen Hormonersatztherapien zu sein. Ihren Patientinnen, ja der gesamten weiblichen Bevölkerung ab 40, empfiehlt sie, den enormen Hormonverlust mit Ersatzhormonen (etwa in Form von Salben, Gel, Pflaster oder Zäpfchen) auf einem Niveau auszugleichen, auf dem sich die Frauen gut fühlen.
Den Wechsel bewusst vollziehen
Diese Empfehlung erntet ein verständnisloses Kopfschütteln von der Schweizer Schriftstellerin Milena Moser. Zu den «heissen Jahren» hatte die 57-Jährige eine rundum positive Einstellung. Sie hatte die Wechseljahre regelrecht herbeigesehnt.
«Meine Freundinnen hatten sie alle vor mir. Mir kamen sie vor wie der ‹Club der coolen Frauen›. Und ich gehörte nicht dazu.» Als dann die ersten Wallungen bei Moser kamen, haben sie mit Champagner darauf angestossen. Für sie habe das eine neue Phase eingeläutet – ein klares Signal: «Jetzt kommen meine Jahre. Jetzt kommt meine Zeit, und jede Wallung war ein Reminder: Es wird Energie frei, nutze sie.»
Im Zuge des Klimakteriums wagte Moser einen radikalen Neustart, wanderte in die USA aus und verliebte sich mit 51 nochmals neu. Masslos, wie sie sagt. Letztes Jahr hat sie zum dritten Mal geheiratet.
Befasse dich mit dir selbst!
Auch die Schweizer Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello, die zu den mittleren Lebensjahren forscht, betont diesen Wandel, den es zu nutzen gilt. «Die Wechseljahre sind eine grosse Chance, sich neu zu definieren und positionieren.»
Die Hormonersatztherapie sieht auch Perrig-Chiello kritisch. Der Wunsch, die natürlichen hormonellen Veränderungen zu regulieren, komme ihr wie Selbstoptimierung vor. Das Klimakterium ist neben der physischen Veränderung auch kognitiv, psychologisch und sozial ein Wechsel. Es störe sie, dass diese verschiedenen Ebenen oft nicht ganzheitlich betrachtet würden.
«In diesen mittleren Lebensjahren ist das Entwickeln der eigenen Ansichten und Bedürfnisse eine der zentralsten Dimensionen», sagt Perrig-Chiello. «Man wird wie aufgerufen: Befasse dich mit dir selbst! Mit Hormonausgleich kann man mich nicht ködern.»
Auch für Gynäkologin Sheila de Liz ist der Wandel zentral – und durchaus positiv: «Wenn Du willst, bist du nach den Wechseljahren eine bessere Version von dir selbst. Du bist Superwoman.» Allerdings betont sie auch hier die Rolle der Hormone: «Wenn du – hormonell – gut eingestellt bist, hast du diese fantastische Chance.»
Noch immer herrscht Unwissenheit
Für die Gynäkologin Sheila de Liz ist auch klar: Das Allgemeinwissen in Bezug auf die Wechseljahre habe eine Generalüberholung dringend nötig. Selbst in der Ausbildung zur Gynäkologin und zum Gynäkologen spiele das Klimakterium in Deutschland bloss eine Nebenrolle, betont sie irritiert.
Nicht anders sei es in der Schweiz, bestätigt Petra Stute, Leitende Ärztin an der Frauenklinik des Inselspitals Bern und Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Menopause. «Viele Frauen sind mit diesem Thema noch immer völlig allein», weiss die Frauenärztin. «Sie bilden sich ein, mit ihren Beschwerden die grosse Ausnahme zu bilden. Es herrscht die Annahme, so schlimm könne ein natürlicher Wandel doch gar nicht sein.»
Und was hält Petra Stute von Sheila de Liz’ Appell, die fehlenden Hormone zu ersetzen? «Aus medizinischer Sicht ergibt das durchaus Sinn. Vor allem in Anbetracht der möglichen Folgeerkrankungen eines Östrogenmangels.»
Oft mehr als Schweissausbrüche
Denn nebst der klassischen Symptome wie Hitzewallungen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen können die Wechseljahre auch wiederkehrende Harnweginfekte, Muskel- und Gelenkschmerzen bis hin zu Depressionen bedeuten. «Die Risiken für Herz- und Kreislauferkrankungen, Osteoporose, Arthrose oder Demenz nehmen zu», sagt Petra Stute.
«Nicht zu vergessen: die Vaginalschleimhaut, die papierdünn werden kann – die sogenannte vaginale Atrophie», ergänzt Sheila de Liz. Diese werde oft ignoriert, obwohl sie nicht nur beim Sex schmerze. Mit Nachdruck appelliert de Liz: «Einen Vitamin-D-Mangel würde man ja auch ausgleichen, oder? So macht man das mit den Hormonen auch. Mittlerweile nimmt man körperidentische Hormone, exakte Kopien von dem, was der Körper früher hergestellt hat. Deshalb sind die für den Körper nicht belastend.»
Pro und Contra Hormonersatztherapie
Viele sehen die Hormontherapien allerdings nicht so harmlos wie de Liz. Noch immer liest man Widersprüchliches, was die gesundheitlichen Auswirkungen einer Hormonersatztherapie betrifft. Unklar ist zum Beispiel, ob Hormonersatztherapien das Brustkrebsrisiko steigern. Der Zusammenhang wird in neuen Studien zwar relativiert, aber nicht gänzlich entkräftet.
Petra Stute sagt: «In den meisten Fällen kann ein Hormonersatztherapie-Versuch durchgeführt werden, da die meisten Frauen innerhalb weniger Tage bis Wochen wissen und spüren, wie es ihnen damit geht. Eine Hormonersatztherapie ist ja keine Gehirnwäsche. Die Auseinandersetzung mit dem Älterwerden findet ja trotzdem unweigerlich statt.»
Wechseljahre sind doch keine Krankheit
Für die Hormonersatz-Skeptikerin Milena Moser sind die Wechseljahre ein natürlicher Lebensabschnitt, den es ohne Eingriffe zu meistern gilt: «Die Hormone zu ersetzten, bedeutet einmal mehr, den natürlichen Lauf des Lebens nicht zu akzeptieren. Wir werden alt und wir sterben, daran führt kein Weg vorbei. Die Wechseljahre sind Teil des Lebens einer Frau, wie die Pubertät. Die Wechseljahre sind doch keine Krankheit.»
Auch Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello sagt: «Die Wechseljahre sind eine biographische Transition, die normal ist. Millionen von Frauen haben das vor uns gemacht und werden es nach uns machen.»
Doch wie diese Transition abläuft, wann sie beginnt und wie lange sie dauert, das ist bei jeder Frau anders. «Wir wissen aus vielen Studien: Ungefähr ein Drittel der Frauen hat grosse Probleme mit der körperlichen Umstellung, ein Drittel leidet ein bisschen, ein Drittel gar nicht.» Hormonersatztherapien seien etwas Wunderbares für Frauen, die leiden. «Aber», so Perrig, «ich wüsste nicht, wieso man alle Frauen über einen Kamm scheren sollte.»
Oft nicht den Wechseljahren zugeschrieben
Die Frauenärztin Sheila de Liz kontert: «Die Zahlen kenne ich auch. Meine Erfahrung zeigt aber etwas anderes.» Rund ein Drittel der Frauen gäben an, keine typischen Beschwerden – wie etwa Hitzewallungen – zu haben. Würde man allerdings weiterfragen, nach Gelenkschmerzen beispielsweise, dann sei die Antwort oft: «Ja. Ich glaube, ich habe Rheuma. Meine Mutter hatte das auch.» Dabei sind Muskel- und Gelenkschmerzen häufig das einzige Symptom bei Wechseljahren – nur wissen das sehr wenige Frauen.
Für de Liz ist deshalb klar: «Die, die sagen, sie haben nichts, haben doch irgendwas – wenn man lange genug fragt.» Aber auch sie relativiert: «Ich sage nicht, mein Weg ist der Königsweg für alle. Mir geht es darum, Frauen aufzuklären, damit sie wissen, dass sie Optionen haben.»
Persönlicher und gesellschaftlicher Wandel
Die Wechseljahre – da sind sich Sheila de Liz, Petra Stute, Milena Moser und Pasqualina Perrig-Chiello einig – ist eine Reise zu sich selbst. Dass diese sich schwieriger gestaltet, wenn es einem physisch und/oder psychisch schlecht geht, leuchtet ein.
Egal, welchen Weg frau einschlägt, damit es ihr möglichst gut geht: Was zählt ist, dass sie ihn selbst wählen kann. Selbstbestimmung, (Er)Kenntnisse, Aufklärung, Enttabuisierung, Toleranz und Empathie sind die Gebote der Stunde.
Und: Reden, reden, reden. Sich austauschen über persönliche Erfahrungen, Pro und Contra von chemischen und pflanzlichen Arzneien, über Mittel und Wege, Sichtweisen und Blickwinkel.
Wenn die Wechseljahre nicht gefürchtet, belächelt, verhöhnt, sondern ernst genommen und zu einem gesellschaftlich relevanten Thema avancieren, wird dies auf nachkommende Generationen Auswirkungen haben. Dann können vergreiste Rollenbilder über Bord geworfen werden, können ältere Frauen jüngeren Ratgeberinnen und Vorbilder sein. Und das bedeutet einen Wandel für die gesamte Gesellschaft.