Tausende Autos rumpeln im täglichen Durchgangsverkehr metallisch-scheppernd und wie besessen hupend durch die Parsen-Kolonie in der indischen Metropole Mumbai.
Im Parsenquartier Dadar lebt der 50-jährige Bildhauer Arzan Khambatta mit Frau und Kindern in einem kleinen Einfamilienhaus mit Garten. Eine Idylle in einer Stadt, die einem gigantischen, stinkenden Moloch gleicht und in der hunderttausende Menschen in Wellblechhütten leben.
Beste britische Tradition
Im Garten von Arzan Khambatta stehen mannshohe Metall-Skulpturen. «Diese schmiedeeisernen Arbeiten aus der Gründerzeit des Viertels finden sich sogar in unseren Gebetshäusern, den parsischen Feuertempeln. Alles altes Design aus England», erklärt der selbsternannte Scrapture-Künstler.
Darunter ist auch eine Menschenfigur, die in der Mitte zweigeteilt ist – gebogen wie eine Flamme im Wind, ein Blatt, das vom Wind weggeweht wird. Die Skulptur stellt Freddie Mercury dar, den verstorbenen Leadsänger der Glam-Rockband «Queen».
Farrokh, der Glückliche
Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass Freddie Mercury Parse war. Aber obwohl heute noch entfernte Verwandte des Sängers in Dadar leben, kennt ihn hier kaum jemand.
Mercurys Eltern, Bomi und Jer Bulsara, die in den 1960er-Jahren im damals noch britischen Protektorat Sansibar arbeiteten, schickten ihn als Kind für eine höhere Schulausbildung nach Indien.
Bulsara wird zu Mercury
Im Mumbaier Vorort Pandjgani, wo Mercury zur Schule ging, gründete er seine erste Band «The Hektics» und nahm den unter Parsen beliebten Vornamen Freddie an. Nach Ausbruch der Unruhen zur Unabhängigkeit Sansibars wanderten seine Eltern mit ihm nach London aus, wo er auch seinen Nachnamen Bulsara in Mercury änderte.
«Seine Eltern haben ihn traditionell erzogen. Aber er hat niemals wie die anderen Parsen gelebt. Dennoch ist er Parse durch und durch», schwärmt Arzan Khambatta.
Das Leben als Fest
Im Alter von sieben Jahren wurde Farrokh Bulsara alias Freddie Mercury in einem parsischen Feuertempel im ostafrikanischen Sansibar zum parsischen Glauben konfirmiert. Wie jeder gläubige Parse trägt er unter seiner Kleidung das rituelle weisse Hemd und die Wollschnur der Parsen.
Die rituelle Schnur wurde später ein Teil des Bühnen-Outfits von Freddie Mercury. Im Musikvideo zu seinem Song «Made in Heaven» thront Mercury auf einer Weltkugel: extravagant in Rot statt in traditionellem Weiss, aber erkennbar als parsischer Priester verkleidet.
Immer wieder griff der Sänger spirituelle Themen in seinen Liedern auf. Der gefallene Priester ist ein wiederkehrendes Leitmotiv. Im Song «Somebody to Love» heisst es zum Beispiel: «Kann kaum auf meinen Füssen stehen. Sehe in den Spiegel und weine. Herr, was hast du mit mir gemacht? Ich habe all die Jahre an dich geglaubt. Aber ich bekomme keine Unterstützung, Herr!»
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Ein Star, aber scheu
Der Sänger schaffte es, seine Fans zu faszinieren. Der stimmgewaltige Rocksänger konnte Massen an Fans mobilisieren und mühelos Stadien und Arenen füllen.
Arzan Khambatta bedauert es, nie das Glück gehabt zu haben, einmal dabei zu sein und ihn zu sehen. «Aber auf einer meiner Ausstellungen in England lernte ich immerhin seine Mutter Jer und Schwester Kashmira kennen.»
Khambatta weiss, dass Freddie Mercury privat nie den Star hervorkehrte, sondern eher bescheiden, ja fast scheu agierte.
Gute Gedanken, gute Worte, gute Taten
Aus Rücksicht auf seine Familie hat Freddie Mercury sein ausschweifendes Privatleben nie öffentlich gemacht. Zu Lebzeiten des Rockstars galt Homosexualität unter fundamentalistischen Parsen als eine grosse Sünde.
Dennoch erwiesen ihm britische Priester des Zoroastrismus die letzte grosse Ehre. Mercury wurde in einem Gottesdienst nach parsischem Ritus im engsten Familienkreis für immer verabschiedet und eingeäschert.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 24.11.2016, 17:22 Uhr.