Auch 30 Jahre nach der Eurodance-Ära erliegen noch viele dem Charme der Retro-Beats. Durch Deutschland tourt aktuell die «90s Super Show», bei der ehemalige Eurodance-Künstler wie Snap! und Blümchen auftreten.
Die einprägsamen Refrains und extravaganten Looks inspirieren heute Künstlerinnen wie Lady Gaga und David Guetta. Woher rührt diese Nostalgie?
Musik aus den Militärbasen
1992 eröffnete das deutsche Duo Snap! mit «Rhythm is A Dancer» das Eurodance-Zeitalter. Ihre Musikvideos spielten mit afrofuturistischen Elementen.
«An die Künstlerinnen gelangte man vor allem durch Kontakte zu den US-amerikanischen Militärbasen rund um Frankfurt und Darmstadt», erklärt die Soziologin Nadia Shehadeh. «Deshalb waren viele der Rapper und Sängerinnen People of Color.»
Nach der Zeit der Neuen Deutschen Welle gab es nun etwas Neues: «Es war eine Fusion von zwei Musikrichtungen der 80er-Jahre: Hip-Hop und Techno», erklärt der Musikwissenschaftler Nico Thom. «Eurodance hat der elektronischen Tanzmusik ein Gesicht gegeben. Im Techno gab es zuvor keine Stars.»
Pathetisch bis ironisch
Im Jahr 1993 war Eurodance überall. Der Sommerhit «Mr. Vain» von Culture Beat hielt sich fünf Monate lang in der Schweizer Hitparade auf Platz Eins. Es war auch die Zeit der Loveparade. «Die riesigen Massenparaden brauchten Melodien zum Mitsingen», so Thom.
Dabei gab es zwei Stossrichtungen: Pathetischen Charakter habe etwa «No Limit» von der belgischen Gruppe 2 Unlimited. Ironisch sei hingegen «Barbie Girl» von der dänischen Tanzgruppe Aqua aus dem Jahr 1997. «Eurodance ist ein Spiel mit Oberflächlichkeit, Hedonismus und einem positiven Grundgefühl dieser Zeit.»
Die Künstler zählten wenig
Für das unverkennbare Nz-nz-nz braucht es wenig Töne. Beim typischen Break erwartet die tanzende Masse einen spannungsreichen Übergang. Techno wurde anschlussfähig. Für die Jüngeren hiess es Dance, Erwachsene verhöhnten das Genre als «Kindertechno».
Schnell erkannten Produzenten die Hitformel: «Ein Team von europäischen Musikproduzenten erstellt einen Track und überlegt, wer dazu auf Englisch rappen und singen kann», sagt Thom. «Dann werden die Leute gecastet und ja, es geht vor allem um visuelle Merkmale».
Was zählte, waren Hits, keine soliden Künstlerkarrieren. «Deswegen gab es damals so viele One-Hit-Wonder», sagt Shehadeh. Aufgrund der Austauschbarkeit seien vor allem die Sängerinnen häufig unsichtbar geblieben. Kaum einer kennt beispielsweise Tania Evans, deren Stimme in Mr. Vain zu hören ist.
Bobo bringt’s
Auch dem Schweizer René Peter Baumann alias DJ Bobo gelang mit «Somebody Dance with Me» ein weltweiter Eurodance-Hit. Der Musiker füllt noch heute Konzerthallen.
Er gilt als einer der Wenigen, der den Schritt vom Rapper zum Popstar schaffte. «Bühnenshows in Verbindung mit den Choreografien – das hat DJ Bobo konsequent weitergeführt», erklärt der Musikwissenschaftler Thom.
Die Hits funktionieren noch heute: «What Is Love» von Haddaway (1993) kletterte im April 2023 als Adaption von DJ David Guetta die Charts hoch. «Eurodance hat einen mitreissenden und euphorisierenden Vibe, und das Potenzial, mit seinen eingängigen Tracks und einfachen Botschaften positive und vereinigende Botschaften zu vermitteln», so Nadia Shehadeh.
DJ Bobo fand dafür schon vor Jahren die richtigen Worte: «Für mich hat nur gezählt: Tanzen die Leute, singen sie mit?»