«Leisi Quick, das isch dr Hit, wo’s rund und au viereckig git», rappt der Basler Rap-Pionier Black Tiger und lacht. Die Zeile stammt aus einer Werbung für Fertigteig, die in den 80er-Jahren in die Schweizer Haushalte flimmerte.
Werbung für Teig, verpackt in einen Rap. Das ist geschicktes Marketing – aber, meint Black Tiger: «Das hat uns nicht inspiriert. Uns hat Rap inspiriert!»
Black Tiger heisst eigentlich Urs Baur, ist heute 49 Jahre alt und hat den allerersten Rap auf Mundart veröffentlicht: «Murder By Dialect» von P-27 feat. Black Tiger. Aufgenommen hat er den Track vor 30 Jahren. Erschienen ist das Pionierwerk 1992 auf dem ersten Schweizer Rapsampler «Fresh Stuff 2».
Rap ist mehr als Reim
Sprechgesang auf Mundart gab es schon vorher: Der Zürcher Claude stürmte mit «Nüt», einer Parodie auf Rap, 1982 die Schweizer Hitparade. Und Polo Hofer selig bezeichnete sich einst als ersten Rapper der Schweiz.
Aber Rap ist eben mehr als Reim. Der «Leisi»-Spot hat Urs Baur nicht inspiriert, weil es nichts mit der Kultur zu tun hat, aus der Rap stammt.
«Y bin e Sprayer und y spray, won ich will»
In «Murder By Dialect» geht es um Black Tigers Liebe zum Sprayen und bewaffnete Sicherheitsleute, die Jagd auf Sprayer wie ihn gemacht haben: «Y bin e Sprayer und y spray, won ich will», lautet Black Tigers erste Zeile in «Murder By Dialect». Er erzählt darin, wie an der Basler «Line», der bunt besprayten Einfahrt zum Basler Bahnhof SBB, auf ihn geschossen wurde.
Black Tiger erinnert sich: «Zu dieser Zeit waren an der Bahnlinie an einem Samstagabend zehn Crews unterwegs.» Bis 50 Leute versammelten sich an der Bahnlinie. «Man hat das Radio mitgenommen, Klöpfer gebraten, gefeiert und gesprayt», erzählt er.
«Bullestress» und Bürgerwehr
Dabei gab es des Öfteren Konflikte mit der Polizei und der Bürgerwehr. «Ich wollte eines Nachts mit einem Kollegen sprayen, als ein Sicherheitstyp auf die Gleise kam und rief: ‹Halt oder ich schiesse!› Dann hat er geschossen», erzählt Baur. Die beiden seien «nur noch gerannt», blieben aber unverletzt.
Von diesem Erlebnis handelt der erste Rap, den Baur auf Mundart veröffentlichte:
Bullestress und Bürgerwehr
Lütt mit Hünd, bewaffnet mit Gwehr
Dummi Type, die mache mi vrruggt
Die sölle mi in Rueh loh susch schlohn' y zrugg
«Ich wollte mit Graffiti ein Zeichen gegen die graue Welt setzen», erklärt Urs Baur. «Wir waren die Rebellen, die Farbe ins Ganze gebracht haben. Es war alles grau, grau, grau.»
Rap als Heimat
Für den jungen Rapper eröffnete sich mit Hip-Hop eine Welt. Im Hip-Hop fand er die Heimat, die ihm sonst fehlte: «Ich bin spanisch, deutsch, afrikanisch, schweizerisch. Ich habe die Schweizer Mentalität nie zu 100 Prozent verstanden.»
Erst als er mit 12 Jahren Hip-Hop entdeckte, habe er gedacht: «Die sehen ja aus wie meine Mutter und meine Schwester!» Hier fand er Vorbilder, die so waren wie er. «Ich wollte ein Sprachrohr sein für Menschen, die keine Stimme haben.»
«Du kannst auch Dubidubababadubndei singen»
Black Tiger hat auch deshalb auf Mundart zu rappen begonnen, weil sein Englisch mies war: «Ich hätte niemals auf Schweizerdeutsch gerappt, wäre mein Englisch besser gewesen. Ich habe Schweizerdeutsch nicht als wunderbare, lyrische Sprache empfunden.»
Aus Mangel an Vorbildern brachte er sich das Reimen selbst bei: «Ich trug später ein Büchlein mit mir herum, in das ich Rhymes notiert habe: ‹Do, stoh, loh, goh, ko›. Das waren die plumpen, ersten, einsilbigen Sachen.»
Mangelnde Englischkenntnisse sind auch für andere Rapper und Rapperinnen ein Grund gewesen, um auf Mundart zu rappen. So auch für Bligg aus Zürich. Gemeinsam mit seinem damaligen besten Freund hat er die Crew «Das, nei was» gegründet. Weil beide kein Englisch konnten, reimten sie auf Schweizerdeutsch. Bligg kann sich noch immer an die Zeilen erinnern:
Wiggediwiggediweinei
Hemmige hämmer ä kei, nei
Ich rappe nöd allei,
denn mir sind zwei
Rap ist Kommunikation
Die Zürcher Rap-Legende E.K.R. hat zu Beginn auf Englisch gerappt. Bis ihm Freunde klarmachten: Du musst zu deinen Leuten in deiner Sprache rappen.
E.K.R. heisst bürgerlich Thomas Bollinger. 1995 hat er unter dem Titel «E.K.R.» das erste Rap-Album auf Mundart veröffentlicht. Dazu beigetragen hat der New Yorker DJ Clash. Er hat Bollinger erklärt: «Was du zu sagen hast, ist das Wichtigste.» Das hat Bollinger eingeleuchtet: «Wenn man nichts zu sagen hat, kann man auch Dubidubababadubndei singen.» Dies sei zwar auch Kunst, aber Hip-Hop sei Kommunikation.
Verpönte Mundart
Die Basler Rap-Pionierin Luana kann sich erinnern, wie «Murder By Dialect» von P-27 feat. Black Tiger Anfang der 90er-Jahre in der Szene angekommen ist: «Nein, das kann man nicht bringen, Baseldeutsch ist schrecklich», war die Meinung.
Aber dann habe es eine Welle gegeben, die nicht mehr aufzuhalten gewesen sei. In verschiedenen Ecken der Schweiz begannen Rapperinnen und Rapper, auf Mundart zu texten.
Luana hat ihre Wurzeln in Italien, bürgerlich heisst sie Stefania Cea. Mit «Wake Up», einer Mischung aus Rap- und Präventionskampagne, hat sie in den 90er-Jahren mit anderen Basler Rappern wie Black Tiger oder Kalmoo auf die Folgen von Heroinmissbrauch aufmerksam gemacht.
Luana, die mit Rap auf Englisch begonnen hat, erinnert sich an ihre eigene Reaktion zu «Murder By Dialect»: «Ich fand es cool und dachte: ‹Wow, so kann man das auch machen. Das ist mutig.›»
Peinlich sei gewesen, wenn andere es in ihrem eigenen Dialekt nachgemacht haben, erinnert sich Luana: «Ich fand Baseldeutsch cool.»
Keine Vorbilder, keine Tutorials
«Heute wirkt das so lächerlich – rein technisch müssen wir gar nicht darüber reden», sagt Urs Baur alias Black Tiger. Verglichen mit heute seien die Möglichkeiten damals viel beschränkter gewesen: «Wir waren viel naiver, es gab ja keine Tutorials.»
Es dauerte alles viel länger. Ende 80er-, Anfang 90er-Jahre hatten alle ihren eigenen Style. «Wir hatten keine Vorbilder», erklärt Baur. Genau das habe den Pioniergeist geweckt.
Thomas Bollinger alias E.K.R. vergleicht dieses Ausprobieren im Rap mit Fussball: «Man stellt sich vor, wie man den anderen ausdribbelt. Aber im echten Leben fällt man auf die Schnauze.»
Im Kopf hätten die ersten Zeilen vielleicht noch gut geklungen: «Wenn man dann zum ersten Mal über einen Beat rappt, merkt man, wie ‹gstabig› das klingt.»
Rap erobert Bergdörfer und Agglos
Black Tiger und P-27 hatten mit «Murder By Dialect» eine Mundart-Rap-Welle losgetreten, die bald die ganze Schweiz erfasste. In den 2000er-Jahren kommen die Rapperinnen und Rapper von überall: aus den Bergen, aus der Agglo. Aus Glarus, Graubünden oder Gelterkinden.
Wrecked Mob brachten Luzern auf die Schweizer Rap-Landkarte. Griot rappte über das Leben auf den Strassen von Basel. Die Gruppe TAFS rappt über den Liestaler Bahnhof, Sektion Kuchikäschtli, Breitbild und Gimma machen Rap aus Graubünden über die Kantonsgrenze hinaus bekannt.
Nicht nur geografisch wird Rap vielfältiger. Statt Vorbilder aus den USA zu kopieren, rappen Schweizer Künstlerinnen und Künstler über ihre eigenen Themen. Es entsteht eine eigene Schweizer Rap-Kultur.
Der Churer Rapper Gimma etwa verarbeitet in seinem Song «Wenni gross bin» seine Kindheit: «Den ganzen Stress über meine Kindheit, der in mir drin war, habe ich aufgeschrieben und gerappt», sagt Gian-Marco Schmid alias Gimma. Zu diesem Zeitpunkt sei ihm nicht klar gewesen, dass bis dato niemand so offen über seine Herkunft rappte.
Kenn kai Emotion
Gsehn nur s Mami am hüle
Wegem Geld
Wege üs
Wege allem und nüt
(...)
Nüt in mir drinn
Und e leeri im Gsicht
In mir drinn ischen Staudamm vo Träne
Wo bricht
Aus dem Untergrund in die Charts
Mundart-Rap hat sich etabliert, verändert und weiterentwickelt. Was im Untergrund mit einer überschaubaren Zahl von Leuten begonnen hat, ist zur meistgehörten Musikrichtung geworden.
Wenn sich beim Bounce Cypher von SRF Virus jedes Jahr die besten Rapperinnen und Rapper der Schweiz das Mikrofon weiterreichen, gehen die Videos viral.
Bestes Beispiel: Der Bieler Nemo ist 2016 mit 16 Jahren der bisher jüngste Teilnehmer des Cypher gewesen. Bei seinem Auftritt standen selbst Rap-Urgesteinen wie dem Berner Rapper Greis der Mund offen. Danach hat Nemo eine rasante Karriere hingelegt. Etablierte Rapper, aber auch Nachwuchstalente stehen immer wieder an der Spitze der Charts.
Mundart-Rap entwickelt sich weiter
Mundart-Rap von heute ist mit Mundart-Rap von damals nicht zu vergleichen. Während die Pioniere versuchten, nicht über die «Gstabigkeit» von Mundart zu stolpern, haben Rapperinnen von heute den Mundart-Rap weiterentwickelt.
Beim Solothurner Rapper Pronto etwa klingt Mundart wie neu erfunden. Meist muss man genau hinhören, um ihn zu verstehen, wie etwa im Track «Clean»:
Figg aui die sitzende Niggas, i glaube a Dream
Vertrau a dim Bruder denn Brüeder die laufe im Team
Aus um mi glänzt um mi jede vom Team
Du weisch mir rocke das Gucci das Louis und aues isch clean
Das deutsche Hip-Hop-Magazin Juice schreibt über Pronto, seine Stimme wirke wie ein melodisches Instrument. Mit seinen Rhymes auf Mundart füllt der Solothurner auch in Deutschland Konzertsäle.
In den vergangenen 30 Jahren hat sich Mundart-Rap etabliert und hat seinen Weg in den Mainstream gefunden. Gleichzeitig entsteht an den Rändern laufend Neues. Das nächste Kapitel in Sachen Mundart-Rap kommt bestimmt.