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Welch ein Triumvirat: die Madonna, Michael, der König des Pop, dazu auch noch der Prinz, allesamt geboren 1958.
Es waren drei Figuren im Rampenlicht der 1980er-Jahre. Nicht die einzigen wichtigen Musikerinnen und Musiker jenes Jahrzehnts. Aber an ihnen lässt sich einiges aufzeigen, was diese Zeit auszeichnete.
Zeiten zwischen Grau und Neon
Was waren das für düstere Zeiten, die 1980er-Jahre! Im Fernsehen sah man Politiker aus Ost und West, die sich gegenseitig atomar hochschaukelten. Der Himmel über Westeuropa hing voller Raketen, die Stimmung zwischen den politischen Gegnern war tiefgefroren. Dazu kam noch diese Krankheit, die das Liebesleben einer Generation in Gefahr brachte.
Was waren das aber auch für ausgelassene Jahre, die 1980er-Jahre! Bunt und aufgekratzt, ein Jahrzehnt der modischen Extravaganzen, der hochtoupierten Haare, der Kleider aus dem Kostümfundus, Abteilung Piraten und Seeleute, Rüschen und Pailletten, neonfarbig, Punkte und Streifen durcheinander, ebenso schrill wie die Musik, die jenes Jahrzehnt begleitete.
Das Düstere des Punks abschütteln
Jede Generation hat ihre eigenen Symbole, Kleider, Farben und Figuren. So gab es von Mitte der 1970er-Jahre an eine neue Strömung: Punk. Protest gegen die Welt der Eltern ging hier Hand in Hand mit einer musikalischen Haltung.
Weg von den prätentiösen Dinosauriern des Klassikrocks, hin zum einfachen, ruppigen Rock’n’Roll: Bevor daraus eine Musikrichtung wurde, bedeutete «punk» wertlos, mies.
Der Look und die Kleider dazu: Grundton Schwarz, zerlöcherte T-Shirts, zerrissene Strümpfe, Reissverschlüsse und Sicherheitsnadeln als Schmuck, dazu übertriebener Einsatz von Schminke.
Anfangs schien das vor allem die Meinungsmacher und Geschmacksjuroren in England und den USA zu interessieren. Doch wie jede Jugendkultur wurde auch der Punk als Mode und Musiktrend eingemeindet und damit – wie alle Bewegungen vorher und seither – überholt.
Der Punk klang roh und laut, sah schäbig aus, dreckig. Ein Abbild düsterer Zeiten. Die nächste Mode jedoch sollte diese Zeiten komplett konterkarieren, in Outfit und Musik, und das war bedeutend breitenwirksamer.
Nun wurde es bunt. Wenn man schon auf einem Vulkan lebte, dann wollte man wenigstens darauf tanzen.
MTV spielt nun die Musik
Am 1. August 1981 eröffnete ein Fernsehsender sein Programm, mit dem die Musik auf immer ihr Gesicht verändern sollte. Buchstäblich. MTV, ausgedeutscht so viel wie Musik-Fernsehen, versprach, rund um die Uhr Bilder zu Pop und Rock zu liefern.
Nicht etwa abgefilmte Konzerte, sondern Filme, in denen die Akteure bei ihrer Arbeit als Musikerinnen und Musiker zu sehen waren – oder dann als Schauspieler und Schauspielerinnen, die in einem Kurzfilm zum eigenen Musikstück auftraten.
Was zu sehen war, war unterschiedlicher Qualität. Einer der alten Garde, Ian Anderson von Jethro Tull frotzelte etwa, es werde allzu oft probiert, den Inhalt eines episch langen Films wie «Ben Hur» in drei Minuten zu packen.
Damit mag er richtig gelegen haben. Aber bei aller berechtigter Kritik darf eines nicht vergessen gehen: Wer wusste wie, der bespielte diese sich bietende Werbefläche von MTV gewinnbringend.
Die Stars in der eigenen Stube
Die Stars gab es nun nicht mehr nur am Radio zu hören, sondern auch am Fernsehen zu sehen. Und das nicht mehr nur sporadisch: Nun flimmerten die Musikerinnen und Musiker ununterbrochen in die gute Stube. Man konnte die Stars sehen, ihre Tanzschritte nachahmen, ihre Kleider kopieren.
Das mussten auch gestandene Stars wie Paul Simon, Peter Gabriel und Bruce Springsteen zur Kenntnis nehmen – ihre Karrieren erhielten durch den Fernseh-Musikkanal neuen Auftrieb. Auch internationale Erfolge wie «99 Luftballons» von Nena oder «DaDaDa» von Trio lassen sich nur mit der Verbreitung via Fernsehschirm erklären.
Michael Jackson – der Moonwalker
Einer der ersten, der das enorme Identifikationspotenzial des neuen Mediums richtig erkannte, war Michael Jackson. In den frühen 1970er-Jahren war er in einer Band mit seinen Brüdern unterwegs, passend «The Jackson Five» benannt. Michael war der jüngste der fünf Brüder und derjenige, der das Zeug zum Solostar hatte. Mit 13 begann er seine Solokarriere, die parallel zur Band lief.
1982, MTV war noch kaum aus den Kinderschuhen, wurde Michael Jackson mit dem Album «Thriller» zum Weltstar. Dieses Album verkaufte sich nicht nur astronomisch gut, je nach Schätzung zwischen 65 und 110 Millionen Mal, auch fast jeder Song des Albums wurde zum Hit.
Die Songs wurden als Musikvideos auf MTV in die Umlaufbahn geschickt. Auf dem Bildschirm sah man ein androgyn wirkendes Wesen, angezogen mit einer Art roten Livree-Jacke eines Hotelportiers, dazu schwarze Hosen, schwarze Haare und Schuhe, weisse Socken.
Michael Jackson sang seine poppigen Melodien mit hoher, beinahe kindlicher Stimme, dazu gab es die mitreissendsten Grooves der damaligen Zeit. Michael konnte auch tanzen, etwa den Moonwalk, eine geschmeidige Gangart rückwärts, bei der er an Ort stehenblieb, oder in grösseren Choreografien.
Am eindrücklichsten gelang das im Musikvideo zu «Thriller», das vom Filmregisseur John Landis produziert wurde. Mit 14 Minuten war der Clip bei Weitem länger als das dazugehörige Stück.
Es war ein cleveres Stück Unterhaltung, das diesen Song über einen normalen Jungen, der auch ein Werwolf ist, gekonnt in Bilder übersetzte. Besonders die Tanzszenen mit Zombies und Werwölfen sprachen das Publikum an.
Madonna – das Material Girl
Und dann kam Madonna: Eine frech aufgestylte junge Frau mit bauchfreiem T-Shirt, auf dem «Boy Toy» stand, grossen Ohrenringen, einer Reihe von Halsketten, an einer davon ein Kruzifix. Dann wieder trat sie als ihr Idol Marilyn Monroe auf.
Auch Madonna Louise Ciccone aus Michigan, kurz Madonna genannt, erkannte den Wert des neu aufgekommenen Mediums MTV sehr schnell und nutzte es gewinnbringend. Niemand flimmerte so oft über die Bildschirme der 1980er-Jahre wie sie.
Das lag an ihrem Aussehen und dem sich ständig verändernden Styling. Vor allem aber an dem, wofür sie stand: Sie war ein weiblicher Star und forderte für sich und für viele andere junge Frauen das Recht, erfolgreich und unabhängig zu sein – auch wenn sie dazu die Werte der Männerwelt rundherum annehmen musste.
Ihre Songs boten Identifikationsflächen. Darin ging es um weibliche Selbstfindung («Like a Virgin»), um Familienplanung und -beziehungen («Papa don’t preach»). Aber auch um das Recht, wie eine Prinzessin auf Händen getragen zu werden («Material Girl»).
Zusammengefasst ging es um das, was ihre Kollegin Cindy Lauper so formuliert hatte: «Girls just want to have Fun», Mädchen möchten auch nur Spass haben. Verpackt war das in buntes, hervorragend produziertes und vor allem auch tanzbares Pop-Konfekt.
Madonna war ohne Zweifel der grosse Popstar des Jahrzehnts, ja, sogar weit darüber hinaus.
Die CD sorgt für glasklaren Sound
Im Jahr 1982 geschah etwas, was fast noch wichtiger war für die populäre Musik als die Bebilderung durch MTV: die Einführung der Compact Disc, kurz CD. Anstatt Musik analog auf Vinyl-Schallplatten zu vertreiben, wurde sie nun digital auf eine kleine Silberscheibe gepresst. Die CD veränderte unsere Hörgewohnheiten radikal.
Ein glasklarer Sound. Jedes einzelne Instrument so direkt aufgenommen, als stehe man als Hörer direkt daneben, kein Grundrauschen wie spätestens nach dem fünften Abspielen einer herkömmlichen Schallplatte. So hatte die eigene Lieblingsband noch nie geklungen, so hatte man sie noch nie gehört.
Nur: Keine Band der Welt klang live so, keine konnte so klingen. Die technologischen Möglichkeiten im Studio waren denen auf der Bühne dermassen überlegen, dass manch ein Interpret, manch eine Band meinte, beim Konzert zu elektronischen Krücken greifen zu müssen, um den eigenen Studioaufnahmen nacheifern zu können.
Hauptsache, es tut sich was
Neue Erfindungen halfen dabei, etwa der Synthesizer DX7. Der konnte für verhältnismässig wenig Geld gekauft werden. Bald fanden sich dessen vorprogammierte, künstliche Sounds auch auf unzähligen CDs.
Technologie war keine Exklusivität mehr, sondern wurde erschwinglich, so auch die Drum Computer, die man nach ihren Typennamen 303 oder 808 nannte. Sie waren ihren menschlichen Gegenparts in Sachen Präzision weitaus überlegen.
In diesem Klima der künstlich produzierten und klingenden Musik spielte es nach und nach keine Rolle mehr, ob man nun an einem Live-Konzert auch wirklich Live-Musik hörte, ob jemand sang oder doch nur tanzte. Hauptsache, es ging etwas auf der Bühne.
Prince – das Mass aller Dinge
Bei Prince ging immer etwas auf der Bühne. Überhaupt war der kleingewachsene Prince Rogers Nelson aus Minnesota musikalisch gesehen das Mass (fast) aller Dinge.
Er verfügte über ein unheimlich wirkendes Arsenal musikalischer Möglichkeiten. Nicht nur war er ein exzellenter Gitarrist und Sänger, er spielte auch Klavier, Keyboards, Schlagzeug und Bass. Eine Band vereint in einer Person.
Auch stilistisch setzte er sich keine Grenzen. Psychedelischer Pop («Raspberry Beret»), Rock-Balladen («Purple Rain») oder Minimal-Funk («Kiss») – Prince jonglierte mit Einflüssen von R&B, Soul, sogar Jazz und Gospel und verschmolz dies alles meisterhaft zu einer unwiderstehlichen Einheit.
Sex, Liebe, Autos – und Aids
Seine Texte schrieb er selbst. Häufiger ging’s dabei recht unverblümt um Sex. Als Prince im Zuge einer seiner ausgedehnten Tourneen im Zürcher Hallenstadion gastierte, durfte auf der Bühne eines nicht fehlen: Ein riesiges Messingbett, auf dem sich der Star während des Konzerts bisweilen mit einer seiner Mitmusikerinnen räkelte. Ohne aus dem Takt zu fallen, selbstverständlich.
Dann wagte er sich an die ewige Themenkombination des Rock’n’Roll, etwa eines Chuck Berry, sprich: die Liebe und das Auto. Er konnte aber auch ernsthaft werden. In «Sign of the Times» schrieb er über das Leben in den Ghettos der Vorstädte der USA, über Drogen und eine «grosse Krankheit mit einem kleinen Namen».
Aids war die erworbene Immunschwäche, die sich durch Sexualkontakte wie eine Epidemie ausbreitete – und einer Generation beibrachte, dass Sex auch Angst und Gefahren mit sich brachte.
«We are the World»
Am 13. 7. 1985 kam es zum grössten vom Fernsehen übertragenen Live-Spektakel der Rock- und Popgeschichte. «Live Aid», ein Konzert für die Hungerhilfe in Afrika, das in London und Philadelphia ausgetragen wurde, vereinte alles, was Rang und Namen hatte.
Stars der Sixties wie Bob Dylan oder Paul McCartney und Stars der Seventies wie Queen oder David Bowie machten darauf aufmerksam, dass die bunten Achtzigerjahre auch eine Kehrseite hatten.
Vom Triumvirat der Eighties trat nur eine auf: Madonna. Die anderen beiden Figuren, die mit ihr zusammen jenes Jahrzehnt beherrschten, waren immerhin indirekt beteiligt. Michael Jackson als Autor von «We are the World», der US-amerikanischen Benefizsingle für die Hungerhilfe in Afrika. Prince als Berater für Madonna: Er half ihr bei der Choreografie für ihren Auftritt. Wahrhaft ein Tausendsassa, dieser Mann aus Minneapolis!
Lichtblick in einer düsteren Zeit
Man kann «Live Aid» als seltenen Moment werten, in dem die Popmusik ihr politisches Gewissen entdeckte. Man kann das Riesenspektakel aber auch als Karriereförderung für westliche Popstars sehen. In der Tat gab es Auftretende, die an diesem Anlass zu Stars wurden, zum Beispiel U2. Andere wurden wiederentdeckt wie Queen.
Wieder andere hingegen – bezeichnenderweise Angehörige der älteren Garde – blamierten sich musikalisch bis auf die Knochen: Bob Dylan wirkte bei seinem Auftritt mit zwei Mitgliedern der Rolling Stones betrunken. «The Who» hatten sich wohl auf ihren Nimbus verlassen und wirkten, als hätten sie zu wenig geprobt.
Was auch immer die Beweggründe der Musikerinnen und Musiker gewesen sein mögen, hier teilzunehmen, «Live Aid» war ein Lichtblick im Unterhaltungs-Business der 1980er-Jahre. Einer der Momente, in denen bei aller lauten Buntheit auch die Dunkelheit, die Armut und das Elend der damaligen Welt nicht vergessen gingen.