Aretha Franklin war vor allem bekannt für ihre Stimme, ein durchdringendes, mitreissendes Organ, mit dem sie die Massen bewegen konnte.
Diese Wirkung gab’s in drei Minuten-Explosionen, kurzen Stücken wie «Respect», «Think» oder «Chain of Fools», aber auch in Balladen wie «A Natural Woman».
Nicht nur im Studio, auch auf der Bühne wusste die Frau zu überzeugen, wie zwei sehr unterschiedliche Live-Alben der frühen 70er-Jahre zeigen.
Das Live-Album aus dem Rocktempel
Zuerst auf die weltliche Bühne: Im März 1971 gastiert Aretha Franklin im Fillmore West in San Francisco. Es ist ein prestigeträchtiger Auftritt im Rocktempel, der zudem für die Nachwelt aufgenommen werden soll.
Begleitet wird Franklin dabei nicht von ihrer üblichen Band, sondern von King Curtis und den Memphis Horns, einer mit allerlei Stars besetzten Truppe. Als Gäste zudem dabei: Keyboard-Veteran Billy Preston und Ray Charles.
Stimmliche Explosion und Kampfansage
Was sich bereits auf den Studioaufnahmen zeigt, wird hier auf beinahe unwirkliche Art demonstriert: Aretha Franklin ist ein Energiebündel, eine förmlich stimmliche Explosion.
Den Einstieg macht die pre-feministische Kampfansage «Respect», welche die Band in furiosem Tempo vorträgt. Franklin lässt sich anstecken und scheint der brodelnden Musik der Band davonzueilen.
Power bis zum Schluss
Ihre weiteren Hits lässt Franklin grösstenteils aus, stattdessen macht sie sich weisse Pop-Stücke zu eigen, die dem Hippie-Publikum der Westküste bekannt sind: So wird Paul Simons «Bridge Over Troubled Water» Gospel-Hymne, die der Song immer sein sollte, «Eleanor Rigby» von den Beatles ein funkiges Stück Soul Music.
Genauso energiegeladen geht es bis zum Schluss weiter. Am Ende fühlt man sich ebenso zufrieden und verausgabt wie das hörbar mitgerissene Publikum.
Das Live-Album aus der Kirche
Eine andere Aretha gibt es auf dem folgenden Live-Album «Amazing Grace» vom Januar 1972. Die Bühne ist die New Temple Missionary Baptist Church in Los Angeles.
Kein unüblicher Schritt für eine Soul-Sängerin, denn Aretha ist wie viele ihrer Zeitgenossen aus diesem Stil ein Kind der Kirche. Ihr Vater Clarence LaVaughn Franklin war ein bekannter Baptistenprediger. Sie sang mit ihren beiden Schwestern im Chor.
Musik-Rausch im Gottesdienst
«Erinnert Euch daran, dies ist ein Gottesdienst», sagt Reverend James Cleveland wie zur Warnung vor zu viel Ekstase und fährt fort: «Wenn etwas schief gehen sollte, schreit Ihr bitte Amen!»
Was dann folgt, ist eine eindringliche Performance, eine andere Art musikalischer Ekstase als noch im Fillmore West. Es geht um Beziehungen – zu Gott, zur Gemeinschaft.
Band, Kirchenchor – und Franklins Stimme
Die musikalische Darbietung ist packend: eine solide Begleitung der fast gleichen Band wie im Fillmore, dazu ein mächtiger Kirchenchor und darüber diese vor Gefühl überbordende Stimme, die alles beherrscht.
Ruhige Songs wie Marvin Gayes «Wholy holy» (einer der wenigen aus dem Kanon der populären Musik) wechseln mit intensiveren Passagen, auf die jedes dieser langgezogenen Stücke zustrebt.
Aretha Franklin auf dem Karriere-Höhepunkt
«Amazing Grace» wurde zum Überraschungserfolg: Das Album wurde mit einem Grammy ausgezeichnet und ist bis heute das meistverkaufte Live-Album der Gospelgeschichte. Und vor allem der grösste Bestseller in Aretha Franklins 60-jähriger Karriere.
Beide Alben zusammen zeigen eine der grossartigsten Sängerinnen der Geschichte auf ihrem Höhepunkt, eine Vokalistin, die mit einem Fuss in der religiösen und mit dem andern in der weltlichen Musik zuhause war.
Am 16. August 2018 ist Aretha Franklin gestorben – am 25. März 2022 wäre sie 80 Jahre alt geworden.