Eines muss man der diesjährigen Ausgabe von Wagners «Ring» an den Bayreuther Festspielen lassen: Sie sorgte reichlich für Gesprächsstoff. In den Cafés, Parks, Hotellobbys, sogar auf der Strasse diskutieren die Menschen über die Regie von Valentin Schwarz.
Es wird gerätselt und analysiert – lustvoll hier, hilflos da. Schwache Versuche, dieser Produktion doch noch etwas abzugewinnen. Es nützt nichts: Was uns da serviert wurde, ist leider Schmalkost.
Eine Netflix-Serie ohne Spannung
Valentin Schwarz hatte angekündigt, das Beziehungsgeflecht zwischen verfeindeten Familienclans aufzeigen zu wollen, also zwischen den Göttern und den Nibelungen. Keine Kapitalismuskritik wie in den letzten Jahrzehnten üblich, sondern der Rückzug ins Private, und zwar mit den ästhetischen Mitteln einer Netflix-Serie. Mit dem alten Plunder wurde kurzer Prozess gemacht: keine Zwerge, Riesen, kein Drache, weder Feuer- noch Liebeszauber, stattdessen: Ernüchterung pur.
Die Figuren erhalten durch Schwarz’ Regiekonzept keine Tiefe und entwickeln sich auch nicht. Wenn sich die Götter und Menschen bei Wagner nach und nach zum Schlechten hinwenden, sind sie bei Schwarz schon von Anfang an verworfen. Die Konsequenz: Liebe, Verschmelzung – die grossen Themen des Lebens – finden in diesem Ring schlicht nicht statt.
Der Ring wird zum Kind
Die inzestuöse Liebe zwischen dem Geschwisterpaar Siegmund und Sieglinde zum Beispiel wird weggelassen. So verpufft auch die sinnlich und erotisch aufgeladene Musik. Dass Sieglinde schon vor der Begegnung mit Siegfried schwanger ist, ist so gesehen nur folgerichtig.
Überhaupt verändert Schwarz immer wieder die Grundstruktur: So ist zum Beispiel der geschmiedete Ring – ein Kind! Das ist immerhin eine der besten Ideen von Schwarz: Nicht der Goldring, der grenzenlose Macht verleiht, sondern die nächste Generation ist das Kapital der verfeindeten Dynastien.
Aber Schwarz sieht vor lauter Ideen den Wald nicht mehr. Dort wohnt bekanntlich der Drache, der zwar auch dieses Jahr aus dem Orchestergraben herauffaucht, auf der Bühne liegt er jedoch dement und krank in einer Klinik. Er stirbt nicht durch Siegfrieds Schwert, sondern durch einen Herzinfarkt. Damit fehlt am Ende genau das, was jede gelungene Streaming-Serie auszeichnet: Spannung und gute Unterhaltung.
Ein starker Siegfried, eine unkontrollierte Brünnhilde
Das ist eigentlich unverzeihlich, vor allem, wenn die Musik diese Lücke nicht immer zu schliessen vermag. So begann das Orchester unter dem Dirigat von Cornelius Meister im Rheingold noch sehr verhalten, steigerte sich aber in den folgenden Abenden deutlich und setzte immer klarere Akzente.
Dass nicht alle Sängerinnen und Sänger die Erwartungen erfüllen konnten, war auch den äusseren Umständen geschuldet. Der Tenor Stephen Gould, der für den Sigfried in der Götterdämmerung vorgesehen war, sagte einen Tag vor der Premiere wegen Krankheit ab. Für ihn sprang Clay Hilley ein, der noch am Vortag am Strand von Bari auf Urlaub weilte und so zu einem lautstark beklatschten Bayreuth-Debüt kam.
Weniger Freude bereitete dagegen Irène Theorin als Brünnhilde mit ihrem unkontrollierten Vibrato, das jegliche Textverständlichkeit im Keime erstickte.
Dass Göttervater Wotan sich mitten im Ring am Rücken verletzte, weil der Design-Stuhl (der Eames-Chair) unter ihm zusammenbrach, während er sang, war vielleicht ein böser Wink mit dem Zaunpfahl: zu viel Designmöbel, zu wenig Sinnlichkeit, zu wenig Eros und Gänsehaut erlebte man im diesjährigen Bayreuther Ring.