Es ist ziemlich genau 40 Jahre her: Am 16. November 1984 steht Herbert Grönemeyer auf der Bühne in der «Zeche», einem Club in seiner Heimatstadt Bochum, und singt «Bochum, ich komm aus dir.» Es soll sein Durchbruch werden. Der Westdeutsche Rundfunk überträgt das Konzert live im Fernsehen. Dieser Auftritt und sein fünftes Album «4630 Bochum» machen ihn zum Star.
Auch für Michael Lentz ist es damals die erste Begegnung mit Grönemeyers Musik. Anfang der 2000er-Jahre lernt er Grönemeyer dann persönlich kennen: Als das Album «Mensch» erscheint, führt er ein Interview mit dem Sänger für die DVD zum Album. Seitdem haben Lentz und Grönemeyer viele Veranstaltungen zusammen gemacht.
Keine typische Biografie
Jetzt hat Lentz ein Buch über den Popstar geschrieben. Im Mittelpunkt steht nicht Grönemeyers Lebensgeschichte, sondern sein Werk: Dessen verschiedene Facetten dröselt Lentz auf knapp 400 Seiten auf. Seine Analysen würzt er mit biografischen Anekdoten. Lentz zerlegt Grönemeyers Musik in all ihre Bestandteile, untersucht sie akribisch. Dabei wird es mitunter ein wenig akademisch-trocken.
Trotzdem behält Lentz das grosse Ganze im Blick: Er zeichnet nach, wie Grönemeyer Schritt für Schritt zu seinem Sound findet – und zu künstlerischer Autonomie: Texte und Melodien, die Dramaturgie eines Albums, die Produktion – Grönemeyer will alles selbst in der Hand haben. Nur so kann er sich mit dem Endprodukt identifizieren. Das sei eins seiner wichtigsten Erfolgsrezepte, meint Autor Michael Lentz.
«Grönemeyer vertextet Musik»
Das Buch gibt einen interessanten Einblick in Grönemeyers Musik-Werkstatt. Wenn er einen Song schreibt, kommt zuerst die Melodie. Dann die Instrumentalparts für die Band. Und schliesslich der Text: Grönemeyer biegt ihn so zurecht, dass er ins musikalische Grundgerüst passt. Dafür verlängert er auch mal Vokale, verschluckt Silben oder betont Wörter seltsam. Lentz: «Herbert Grönemeyer vertont keine Texte, sondern vertextet Musik.»
Nebensächlich sind die Texte aber nicht. Es geht um gesellschaftliche Fragen: Migration, Rechtsextremismus oder die Corona-Pandemie. Und um seine eigenen Erfahrungen und Gefühle. Die drücke Grönemeyer so aus, dass die Hörerinnen und Hörer sich darin wiederfinden: «Die Platte hört zu und versteht einen, stellt Fragen und antwortet», schreibt Lentz.
Sein Erfolgsrezept: «alles irgendwie anders»
Noch wichtiger, als was er singt, ist wie er singt: Herbert Grönemeyers Stimme ist sein Markenzeichen. Gerade, weil sie nicht den Vorstellungen einer «schönen Stimme» entspricht. Sie ist einzigartig: «Bereits mit der Geste des Einatmens ist seine Stimme zu identifizieren», schreibt Lentz. Das mache ihn so authentisch: Der Popstar Herbert Grönemeyer und der Mensch – das wirkt wie eine Einheit. Und das erzeugt Nähe.
Diese Nähe erlebt auch, wer Grönemeyer live sieht. Das liege unter anderem daran, dass der Musiker seine Auftritte nicht bis ins letzte Detail durchplant, erklärt Lentz. Seine Art, zu singen, zu texten, aufzutreten: Grönemeyer macht alles irgendwie anders. Das sei der Schlüssel zu seinem Erfolg, meint Lentz. In seinem klugen Buch kommt er diesem Ausnahmekünstler beeindruckend nah. Es hat zwar seine Längen. Aber wer «Grönemeyer» liest, bekommt ein Gefühl dafür, wie der Popstar tickt. Und warum er so fasziniert.