Das wichtigste in Kürze
- In Deutschland nimmt die Anzahl an Klassik-Konzerten zu. Auch das Publikum wird zahlreicher – und jünger.
- In der Schweiz ist ein ähnlicher Trend auszumachen: Die Anzahl an Kinder- und Jugendkonzerten wächst.
- In Deutschland ist Klassik gar beliebter als Fussball: Klassik-Konzerte haben mehr Zuschauer als die erste Fussball-Bundesliga.
Totgesagte leben länger: Dieses Sprichwort trifft auch auf das Publikum klassischer Konzerte zu. Wie oft schon wurde über den Silbersee im Konzertsaal geklagt, über die hohe Dichte an älteren, meist grauhaarigen Menschen im Publikum.
Wenn die einmal verstorben seien, so die weitläufige Annahme, sei niemand mehr da, der die Lücken schliesse. Und ohne Publikum würde die klassische Musik bald ganz aussterben.
Neues Publikum
Doch das Klassik-Publikum schrumpft nicht – es wächst. Und: Es verjüngt sich sogar. Zumindest in Deutschland. Dies beweisen neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Es überprüft alle zwei Jahre, wie viele Menschen staatlich subventionierte Veranstaltungen besuchen.
Für den Klassik-Bereich heisst das konkret: In der Saison 2015/16 haben 18,2 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer in Deutschland Veranstaltungen mit klassischer Musik besucht: Konzerte, Opern, Festivals.
Nachwuchsförderung zahlt sich auch
Parallel dazu erhebt die Deutsche Orchestervereinigung DOV die Anzahl an Klassik-Konzerten. Hier ist ein Plus von 10 Prozent zu verzeichnen. Ein Hauptgrund für diese Entwicklung ist die Zunahme an education-Projekten. Der Bereich der Kinder- und Jugendkonzerte ist sogar um 20 Prozent gewachsen.
Dadurch hat sich nicht nur die Anzahl an Konzerten insgesamt erhöht, sondern das Publikum hat sich auch deutlich verjüngt. Neben dem Stamm-Publikum, das wie die Gesellschaft allgemein tatsächlich immer älter wird, wächst zusätzlich ein neues, junges Publikum nach. Das grosse Engagement, das die verschiedenen Klangkörper in die Nachwuchsförderung stecken, zahlt sich also aus.
Kinderkonzerte boomen
In der Schweiz sei ein ähnlicher Trend zu verzeichnen, sagt Toni J. Krein, Präsident von orchester.ch, dem Verband Schweizerischer Berufsorchester, auf Anfrage. Zwar sei ein Vergleich zwischen beiden Ländern schwierig, da in Deutschland wesentlich mehr staatlich geförderte Orchester angesiedelt seien und die staatliche Orchesterfinanzierung in beiden Ländern sehr unterschiedlich geregelt sei.
Dennoch liessen sich Parallelen ziehen, so Krein. So boome etwa der in Deutschland wachsende Bereich der Musikvermittlung auch in der Schweiz.
Ein Vergleich der Anzahl an Kinder- und Jugendkonzerten in den Saisons 2013/14 und 2014/15 weist in der Schweiz ebenfalls ein Wachstum von 20 Prozent aus. (Die Zahlen der Saison 2015/16 liegen noch nicht vor.)
Beispiel Lugano
Insgesamt blickt Krein optimistisch in die Zukunft. Denn dass derzeit zahlreiche Städte wie etwa Bern, Zürich und Basel in ihre Konzertsäle investieren, um dem Publikum mehr Komfort zu bieten, das werde sich unmittelbar in einer steigenden Nachfrage niederschlagen.
Bestes Beispiel sei hier das LAC in Lugano, das zu einem regelrechten Publikumsmagnet avanciert sei, so Krein.
Beliebter als Fussball
Das Wachstum des Klassik-Publikums und seine Verjüngung könnte zukünftig auch bei der Vergabe von staatlichen Geldern eine Rolle spielen. Die Deutsche Orchestervereinigung geht in dieser Hinsicht offensiv vor.
Sie hat kurzerhand die Besucherzahlen in der Klassik mit jenen in der ersten Fussball-Bundesliga verglichen – ein Bereich, der etwa durch die nötigen Sicherheitsmassnahmen ebenfalls stark subventioniert ist.
Und siehe da: Die Klassik ist beliebter als der Profi-Fussball – sie weist mit ihren 18,2 Millionen Zuschauern 2015/16 stolze 40 Prozent mehr aus als die lediglich 13,2 Millionen Zuschauer bei Spielen der ersten Fussball-Bundesliga. Mit diesen Zahlen kann mit dem Vorurteil, klassische Musik sei ein Nischen-Phänomen, endlich aufgeräumt werden.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 2.3.2017, 8.20 Uhr.