Vor 20 Jahren gründete der Star-Dirigent Claudio Abbado das Lucerne Festival Orchestra. Bald machte das geflügelte Wort Abbados vom «Orchester der Freunde» die Runde. Auf Abbado folgte 2016 Riccardo Chailly an die Spitze des Luzerner Vorzeigeprojekts. Er war einst dessen Assistent an der Mailänder Scala gewesen.
Nun musste Chailly wegen einer Herzoperation seine Dirigate am Eröffnungsabend des Lucerne Festival absagen – ausgerechnet zum zwanzigjährigen Jubiläum des Orchesters. Mit Paavo Järvi, dem Chef des Tonhalle-Orchesters Zürich, fand sich pünktlich zur ersten Probe eine Woche vor Festivalbeginn ein Dirigent, den manche im Vorfeld als «solide» Wahl bezeichneten. Was nicht immer gut gemeint war.
Järvi hat die 3. Sinfonie von Mahler schon oft dirigiert, zuletzt im Herbst 2021 zur Wiedereröffnung der renovierten Tonhalle. Mit dem Tonhalle-Orchester bereitet er derzeit einen ganzen Mahler-Zyklus vor.
Kein Dienst nach Vorschrift
Mahlers Sinfonik ist für Dirigentinnen und Dirigenten seiner Klasse Standardrepertoire. Und, oh Schreck, als solches schien Järvi diese Sinfonie am Eröffnungsabend auch anzugehen: 100 Minuten Standard-Dirigat. Musik, die sich nicht entwickelt, sondern dahingestellt wird wie im Schaufenster.
Erst allmählich zeigte sich, dass dieser erste Eindruck täuschte. Denn Järvi ist keiner, der gerne zelebriert. Stellen, wo andere Dirigenten schon früh die Schleusen seligsten Genusses öffnen, umschifft er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Die Sinfonie, von Mahler in zwei Abteilungen aufgeteilt, erklang unter Järvi tatsächlich zweigeteilt. Zunächst gab es einen formal strengen Teil mit cool organisierten Abschnitten und trockener Rationalität. Mahler, der als Komponist zwischen Romantik und Moderne zu verorten ist, erklang hier klar modern.
Vorgeschmack aufs Paradies
Der zweite Teil dagegen war ein, wenn auch gebrochener, Rückblick in die Romantik – und ein Blick voraus. Der zurückgenommene und dabei sehr präsente Alt der Solistin Wiebke Lehmkuhl ging bestens im Gesamtklang auf.
Der Chor (Luzerner Kantorei und die Sängerinnen des Chors des Bayerischen Rundfunks) sehnte mit zarten Tönen «himmlische Freud» herbei, die Sehnsucht nach dem als Festivalmotto fungierenden Paradies. Dieses liess Järvi durch das ganze Orchester aufgreifen.
Eine Sternstunde dann, als im letzten Satz die Streicher genau das taten, was über ihren Noten steht, nämlich «Langsam. Ruhevoll. Empfunden» spielen. Da gesellte sich Innigkeit zu Weltvergessenheit. Die Musikerinnen und Musiker gingen in der Schönheit dieser Klänge auf.
Schwer zu sagen, ob das Paavo Järvi zu verdanken war oder dem beglückenden Engagement des Orchesters. Klar dagegen wurde: Järvi und das Lucerne Festival Orchestra, das ist eine exzellente Kombination.
Zukunft bleibt ungewiss
Ob die Wahl von Järvi und, für ein drittes Konzert, von Andrés Orozco-Estrada als Einspringer, eine Aussage über die Zeit nach 2026 macht, wenn Chaillys Vertrag in Luzern ausläuft? Darüber wollte sich Noch-Intendant Michael Haefliger im Gespräch mit SRF nicht auslassen.
Haefliger, der sich Ende 2025 von Luzern zurückzieht, habe dann ohnehin keine Entscheidungen mehr zu treffen. Wie sich das weiterspinnt, wird also zu sehen sein. Zufrieden mit dem Eröffnungskonzert seines Orchesters dürfte der Intendant aber allemal gewesen sein. Und mit ihm wohl ein Grossteil des Publikums.
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