Daniel Barenboim ist ein kleingewachsener Mann. Gerade einmal 168 cm ist er gross, ist zu lesen. Aber so klein wirkt er nicht.
Besonders nicht in Situationen, wo es schwierig wird, wo Konflikte zu eskalieren drohen. Da lässt sich förmlich beobachten, wie er über sich hinaus wächst.
In Gaza spielen
Zu sehen ist dies im Film «Daniel Barenboim – Musik und Politik». Eine Station des Films ist Gaza: 2011 reist Daniel Barenboim in das umkämpfte Gebiet und gibt mit Musikern verschiedener europäischer Orchester ein Konzert.
Es ist klar – ein Spielen im eingesperrten Palästinensergebiet ist keine vergnügte Konzertreise. Schon dass das Orchester am eigens für sie wiedereröffneten ägyptischen Flughafen Al-Arish nahe der Grenze landen kann, hat eine lange Vorgeschichte.
Als die Überprüfung der Pässe kein Ende nimmt, proben Barenboim und seine Musikerinnen und Musiker kurzerhand auf den Sitzen der Wartehalle, die Noten auf den Knien.
Kultur und Würde statt Lebensmittel
Als schliesslich nur einen Tag vor dem Konzert die Palästinenser wegen des Todes von Osama Bin Laden das Konzert plötzlich absagen, mobilisiert der Dirigent alle Kräfte und telefoniert stundenlang. Bis dann spät nachts die Zusage kommt, dass sie in den Morgenstunden die Grenze überqueren und in Gaza-Stadt spielen dürfen.
«Normalerweise erhalten wir Lebensmittel und Medizin. Sie haben uns Musik gebracht und dafür gesorgt, dass wir uns nicht mehr wie Tiere in einem Käfig, sondern wie Menschen fühlen», bedankte sich Salah Abdel Shafi, der damalige Botschafter Palästinas.
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Der Feind hinter der Mauer
Daniel Barenboim scheint schon sein Leben lang herausfordernde Situationen gesucht zu haben. Schon als siebenjähriges Klavier-Wunderkind tritt er in Buenos Aires auf.
Später zieht es den gefeierten Pianisten vom Konzertflügel auf die Dirigentenpodien der Spitzenorchester, er leitet das Orchestre de Paris, ist Musikdirektor des Chicago Symphony Orchestra, Generalmusikdirektor der Deutschen Staatsoper in Berlin, Musikdirektor der Mailänder Scala.
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Musiker verfeindeter Länder vereint
Ab 1999 vereint er zudem in seinem eigenen Orchester Menschen aus Ländern, die sich zum Teil spinnefeind sind. Im West-Eastern Divan Orchestra spielen Musikerinnen und Musiker aus Israel und arabischen Ländern wie Palästina, Libanon, Iran oder Ägypten – und lernen den vermeintlichen Feind hinter der Mauer zum ersten Mal richtig kennen.
2001 gibt das Orchester in Israel trotz heftiger Proteste als Zugabe Wagner. 2005 spielen sie ein Konzert im palästinensischen Ramallah, das weltweit am Fernsehen übertragen wird.
Die Musik und das Leben in Wechselwirkung bringen
Auch als heute 74-Jähriger packt Daniel Barenboim immer noch Projekte an, die weit über das Musikmachen hinausgehen. Sein neuestes ist die Barenboim-Said-Akademie , die in Berlin junge Menschen aus Israel und arabischen Ländern ausbildet.
Mit Fächern wie Philosophie, Geschichte und Literatur sollen aus ihnen nicht nur professionelle Instrumentalisten, sondern humanistisch gebildete Persönlichkeiten werden, die sich auch in die Gedankenwelt anderer einfühlen können.
Sind Musiker empathischer?
«Können denn Musiker dadurch, dass sie ein besseres Gehör haben, automatisch auch aufmerksamer zuhören und damit andere besser verstehen?», fragt ihn die Moderatorin Barbara Bleisch in der Sendung Sternstunde Philosophie. Leider nein, sagt Barenboim nach kurzem Überlegen.
Weil immer noch die meisten Musiker und auch Laien die Musik zwar als etwas Schönes und Tiefes betrachten würden, dies aber komplett vom eigenen Leben trennen.
Musik allein macht noch keinen guten Menschen
Auch Adolf Hitler oder Stalin hätten Musik tief empfunden und sich zu Tränen rühren lassen – und doch sind beide für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich.
Die Musik und das Leben der Menschen in eine Wechselwirkung zu bringen, ist und bleibt also unerlässlich. Daniel Barenboim wird dieses Ziel bis zuletzt weiterverfolgen.
Sendung: SRF 1, Sternstunde Musik, 4.12.2016, 11:55 Uhr.
Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 4.12.2016, 11:55 Uhr.