Ein halbes Jahr nach Corona liegen erste Studien zum Kulturkonsum vor, so etwa der Relevanzmonitor Kultur der Bertelsmann Stiftung. Eine Umfrage unter jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 hat ergeben, dass der Wunsch nach Kultur da ist.
Gleichzeitig aber gibt es eine grosse Diskrepanz zum tatsächlichen Interesse und zur Nutzung der Angebote: 80 Prozent der Befragten sagen, sie waren in den letzten zwölf Monaten in keinem Konzert. Die Hälfte der jungen Erwachsenen hat das Gefühl, das Angebot richte sich überhaupt nicht richtig an sie.
Kein Angebot für die Nachfrage?
Der Wunsch der Befragten: Kulturinstitutionen sollten das Angebot und die Kommunikationswege modernisieren, ihre Zielgruppen besser kennen und ansprechen. Gewünscht werden Angebote, die sich an Kinder und Jugendliche richten, die für alle verständlich sind und bei denen man lachen kann. Ausserdem soll das Kulturangebot für Laien geöffnet werden, das Preisgefüge sozial gerecht und das Marketing modern sein.
Veranstalter sind Verführungskünstler
Auf die Frage, ob sich Veranstalter viel mehr wieder als Dienstleister verstehen müssen, sagt Ilona Schmiel, Intendantin der Zürcher Tonhalle: «Einerseits ja. Andererseits sind wir als Veranstalter Verführungskünstler.» Es gelte, sich vermehrt Gedanken über diese Verführung zu machen. Denn das hochwertige Angebot auf der Bühne ist nicht alles.
Neue Formate für neue Zielgruppen
Gerade nach der Pandemie, in der die Menschen lange auf Begegnungen und Nähe verzichtet haben, verspüren viele eine grosse Lust, wieder zusammenzukommen.
So entstehen etwa in der Tonhalle und bei vielen anderen Veranstaltern neue Formate: moderierte Kurzkonzerte, meet-and-greet-Treffen mit den Künstlerinnen und Künstlern oder Foyersessions mit Orchestermusikerinnen und -musikern nach dem Konzert, die Loungemusik, Jazz oder Volksmusik spielen, während das Publikum flaniert, sich unterhält oder einen Drink nimmt.
«Die Rahmenbedingungen für das Konzert sind entscheidend», sagt Schmiel. Um massgeschneiderte, individualisierte Angebote geht es ihr – und letztlich darum, ein Konzerthaus für die ganze Familie zu etablieren.
Mit Kulturclashs die Leute zurückgewinnen
Hiromi Gut, Gründerin von Guerillaclassics, geht einen etwas anderen, doch ähnlichen Weg. Aus einem Pool von 200 Künstlerinnen und Künstlern verschiedenster Sparten werden überraschende Projekte geschmiedet und verschiedene Kunstgenres zusammengespannt, um mit grösster Diversität und kultureller Vielfalt dezentral, an ungewöhnlichen Orten wie dem Chinagarten oder der Bahnhofshalle ein Zufallspublikum zu verführen.
Gut möchte auf kreative Art dem Publikumstrend zur Kurzfristigkeit und zu Spontanbesuchen begegnen. «Ich liebe das Wort Perspektivwechsel. Und ich glaube, gerade in Machtgefügen, in denen Strukturen relativ festgefahren sind, ist das ein Zukunftsthema.»
Angst essen Kunst auf?
Die aktuelle Wirtschaftslage, Inflation, Energiekrise und die geopolitische Weltlage drücken auf die Stimmung. Viele haben derzeit andere Sorgen, als ins Konzert zu gehen. In dieser Fragilität sind neue, massgeschneiderte Angebote gefragt, sich ums Publikum kümmern, es zu pflegen und mit spannenden Angeboten sein Interesse zu wecken.