Welches Potenzial In-Game-Konzerte haben, wurde der Musik- und Gameszene spätestens im April klar. Im Battlespiel «Fortnite» steigt der US-Rapper Travis Scott als riesiger Rap-Gott aus seinem virtuellen Raumschiff.
Er tanzt sich vom Universum bis in die Unterwasserwelt und zurück. Mit seinem reichhaltigen dichten Storytelling und einer regelrechten Sound- und Bildwucht treibt er den Einfallsreichtum aktueller Videogames auf die Spitze.
Die Gamerinnen und Gamer sind live dabei und erleben mehr als nur ein fantasievolles Musikvideo: Sie sind Teil des Ganzen, hüpfen als kleine Avatare um den Rapper herum, tanzen und bejubeln die Weltpremiere seines neuen Songs. Es kommt Partystimmung auf.
Der Avatar lernt vom Musikstar – gegen Geld
Hinter solchen In-Game-Konzerten steckt ein lukratives Geschäftsmodell: Wenn Superstars in einem Game auftreten, erreicht die Spielfirma deren Fangemeinde, die sich das Spiel herunterlädt.
Aber auch für die Musikerinnen und Musiker stimmt der Deal, denn sie sprechen die globale Zielgruppe der Gamer an. Und die ist zahlungskräftig – 20 Millionen Dollar soll Travis Scott mit seinem zehnminütigen Konzert verdient haben.
Gewinne machen die Stars bei In-Game-Konzerten aber nicht durch Ticketverkäufe, sondern durch so genannten Virtual Merch: Gegen echtes Geld stattet man seinen Avatar mit bestimmten Objekten oder Fähigkeiten aus, zum Beispiel mit einer Travis-Scott-Waffenhülle aus Gänseleder oder einem typischen Travis-Scott-Dancemove.
Es zählt das immersive Erlebnis
Genau genommen gibt es solche In-Game-Konzerte schon länger: 2001 trat die Band In Extremo im deutschen Computerspiel «Gothik» auf. Schon damals wurde per Motion Capturing der Mittelalter-Rockband virtuelles Leben eingehaucht.
Heute zählt das immersive Erlebnis – im Corona-Jahr trifft dies einen Nerv: «Minecraft» hat in seiner verpixelten Bausteine-Welt mehrere Musikfestivals veranstaltet. Im Computerspiel «Grand Theft Auto» wurde gerade ein virtueller Club eröffnet. Die Computerspiele-Plattform «Roblox» lud jüngst den Sänger Lil Nas X auf seine virtuelle Bühne.
Berühmte Games wie «Roblox» oder «Fortnite» sind allerdings kein Ort für musikalische Experimente: Es treten nur internationale Mainstream-Acts auf. Aber die Form des In-Game-Konzerts könnte auch für andere Künstlerinnen und Künstler zugänglich werden. Daran arbeitet die Firma Granola-Studios aus Berlin. Inspiriert von der Gamingwelt entwickelt sie interaktive Landschaften für virtuelle Livekonzerte – auch ohne Anbindung an ein spezifisches Game.
Unvergleichliche Reichweite
28 Millionen Gamerinnen und Gamer haben Travis Scott’s Fortnite-Konzert erlebt. Das entspricht 140 Stadionkonzerten im echten Leben. Kein Wunder beschloss Epic Games, die Firma hinter «Fortnite», In-Game-Konzerte auszubauen.
Aber auch Sony Music stellt derzeit Gamedesigner an, wie Billboard berichtet. Game- und Musikwelt werden in Zukunft also weiter zusammenwachsen.
Was alle In-Game-Konzerte gemeinsam haben: Sie kreieren eine neue Form von Gemeinschaft und übernehmen Funktionen, die gerade jetzt, im zweiten Kultur-Lockdown, fehlen.
Bei einem Konzert-Stream auf dem Sofa kann man sich vielleicht rasch einsam fühlen. Anders ist es, wenn man als Avatar Teil einer tanzenden Masse ist und sich untereinander im Live-Chat über das Konzert austauscht. Das Gruppengefühl ist wichtig bei Konzerten – daran kommen In-Game-Konzerte erstaunlich nah heran.