Sebastian Nordmann wirkt beim ersten Treffen sympathisch, eloquent und zugänglich. Er hat Erfahrung mit mehreren Festivals, seit 14 Jahren leitet er das Konzerthaus Berlin, hat dort gute Arbeit geleistet, die Dirigentin Joana Mallwitz auf den Chefposten gehievt und das Publikum verjüngt.
Auch seinen vorherigen Job als Geschäftsführer der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern erfüllte er tadellos: Er konnte die Zuschauerzahlen verdoppeln.
Mit dem Ziel, die Grundlagen der Wirtschaft und des Managements in der Praxis kennenzulernen, arbeitete er zunächst zwei Jahre als Unternehmensberater der Boston Consulting Group an strategischen Projekten. Aber auch an der Restrukturierung eines grossen CD-Labels sowie bei zwei Banken. Er wird wohl wissen, wie man langfristig schwarze Zahlen schreibt.
«Wir Intendanten sind Trüffelschweine. Wir müssen frühzeitig schauen, wo wir die neuesten Stars finden, wo die Raketen gerade hochgehen. Und wir müssen den grossen Künstlerinnen und Künstlern klarmachen, dass Luzern eine ihrer wichtigsten Destinationen bleibt», meinte Sebastian Nordmann.
Neuer Glanz für Eliteklangkörper?
Ihm liege aber vor allem das Lucerne Festival Orchestra sehr am Herzen. Dieser berühmte Klangkörper, der in den letzten Jahren etwas an Glanz verloren hat, nachdem sein Gründer Claudio Abbado gestorben war, soll sich zu neuen Höhen aufschwingen – auch mit zeitgenössischer Musik.
Überhaupt bekennt sich Nordmann dezidiert zur Neuen Musik, die am Lucerne Festival mit der «Academy» und dem Lucerne Festival Contemporary Orchestra seit Jahren ein Schwerpunkt bildet.
Also: Alles wunderbar, hat man mit Sebastian Nordmann die perfekte Wahl getroffen? Es ist ein pragmatischer Entscheid, mit dem der Stiftungsrat sicher nichts falsch macht. Sebastian Nordmann bringt viel Erfahrung in den richtigen Bereichen mit, er polarisiert nicht, eckt nicht an – zumindest auf den ersten Blick.
Eine zeitgemässe Wahl?
Aber natürlich hätte man sich nach 25 Jahren unter männlicher Intendanz eine Frau gewünscht. Oder vielleicht ein diverseres Zweier-Team. Oder eine Person mit einem unkonventionelleren Lebensweg – immerhin hat sich das Lucerne Festival letztes Jahr Diversität auf die Fahne geschrieben.
Man wollte kein altes Intendanten-Schlachtross, aber auch nicht jemanden mit wenig Erfahrung, das birgt immer Risiken.
Dass sich Frauen beworben haben und bis in die letzte Runde kamen, hat der Stiftungsrat-Präsident des Festivals, Markus Hongler, eingeräumt.
«Man wollte kein altes Intendanten-Schlachtross, aber auch nicht jemanden mit wenig Erfahrung, das birgt immer Risiken. Mit Sebastian Nordmann liegen wir genau richtig», meint Hongler.
Man wird den Eindruck nicht los, dass hier ein gutschweizerischer Mittelweg gewählt wurde, der niemandem weh tut. Aber wer weiss, vielleicht erleben wir mit der neuen Intendanz noch die eine oder andere Überraschung.