Ein Rapper und ein Streichquartett – eine ungewöhnliche Kombination. 2007 trat der kalifornische Slam Poet Saul Williams zusammen mit dem Arditti Quartet bei den Tagen für Neue Musik Zürich auf, um das Stück «NGH-WHT» zu performen.
Es war nicht die erste Begegnung des Rappers mit dem Klassik-Genre. Zwei Jahre zuvor hatte er schon in Basel mit einem Orchester seine Texte rezitiert, in «said the shotgun to the head». Beide Stücke stammten vom Schweizer Komponisten Thomas Kessler.
Suche nach Sounds
Kessler hatte sich 2001, frisch pensioniert, in Toronto auf die Suche nach ungewöhnlichen Sounds gemacht. «Ich suchte Poetry, mit Rap, aber nicht mit einem aggressiven Bumm-Bumm-Rhythmus, sondern etwas Offeneres oder Experimentelles.»
Und er habe lange gesucht, erinnert er sich. «Aber plötzlich hörte ich etwas. Da sprach ein Poet mit einem Cellosolo, das war fantastisch. Das hatte Rhythmus, Puls – aber nicht so, wie kommerzielle Musik klingt. Ich dachte, den Mann möchte ich kennenlernen.»
Kurz darauf stand der Schweizer bei dem Musiker und Rapper Saul Williams vor der Tür, der rappte ihm gleich sein jüngstes Buch vor und meinte: «Willst du das nicht verwenden?» So kam es zur Zusammenarbeit.
Suche nach dem Unverbrauchten
Diese Suche nach dem Unverbrauchten und seine Neugierde zeichneten Thomas Kessler zeitlebens aus. Geboren 1937 in Zürich, hatte er sich von jeher eigenständig in – und neben der Avantgarde bewegt. In den 60er-Jahren gründete er in Berlin ein eigenes Studio.
Bald gingen in diesem Electronic Beat Studio die jungen Rockmusiker ein und aus, entdeckten neue Geräte und entwickelten einen neuen Sound. Von da her war es kaum erstaunlich, dass sich Kessler später dem Rap zuwandte.
Studio für Musik-Akademie Basel
Ab 1973 baute er in Basel das Elektronische Studio der Musik-Akademie auf und führte es zu internationalem Renommee. Aber auch da suchte er nach unkonventionellen Lösungen.
Eine bedeutende Schiene seines Schaffens waren etwa jene live-elektronischen Stücke, bei denen die Solomusiker selbst die Kontrolle über den Sound übernehmen und das Klangergebnis somit nicht mehr von einem zentral gesteuerten Mischpult beherrscht wird.
Utopische Musik mit 80 Steckdosen
Was 1974 mit dem Solo «Piano Control» begann, kulminierte im neuen Jahrtausend in einer Serie von Orchesterstücken, «Utopia» genannt.
«Ich wollte das ultimative Live-Elektronik-Stück zu machen, eine Utopie. Ich brauche dafür 80 Steckdosen auf der Bühne, mehr nicht», erzählt Kessler. Jeder Orchestermusiker kommt mit seinem eigenen Setup, mit einem kleinen Köfferchen, in dem der Synthesizer oder ein Laptop liegt. Er steckt die Kabel ein; neben dem Stuhl steht ein Lautsprecher und fertig.
«Keiner mischt im Saal den Sound zusammen; keine Lautsprecher rundherum. Der Klang kommt vom Podium, aus den Musikern heraus.» Die Orchester hatten tatsächlich Spass daran, diesen neuartigen Mischsound selber entstehen zu lassen, einen Klang, so Kessler, «wie er so noch nie gehört wurde».
Er war ein quer- und eigenständig denkender Komponist, und doch wäre es falsch, Thomas Kessler auf den Technikfreak oder den genreübergreifenden Innovator zu beschränken. All das wurde nie zum Selbstzweck betrieben, sondern mündete jeweils in ein erfrischendes, sensibel ausformuliertes und durchaus mitreissendes musikalisches Endergebnis.