Planen. Quarantäneverordnungen checken. Wieder umplanen. Die Hygienekonzepte anpassen. Publikumsobergrenzen festlegen. All das gehört jetzt zum Job von Andreas Fleck vom Boswiler Sommer, einem Festival für Klassik und Crossover, bei dem rund die Hälfte der Musikerinnen und Musiker aus dem Ausland kommt.
«Für jeden Musiker und jede Musikerin gibt es im Grunde eine andere Regelung», sagt Andreas Fleck. Man müsse eine Programmkonzeption, die ja immer auf die Personen programmiert sei, immer wieder neu ausrichten. Das sei hochkomplex.
Problemzone Rückstau
Nach einer Absage im letzten Jahr holt der Boswiler Sommer jetzt sein 20. Jubiläum nach. Doch die Konkurrenz ist gross. Viele Festivals und Veranstaltungen wurden auf Ende Juni verschoben, in den Kalendern der Musikerinnen und Musiker stauen sich die Auftritte.
Als kleines Festival will sie Andreas Fleck mit der persönlichen Atmosphäre überzeugen: «Wir haben weniger Ressourcen, können aber vielleicht ein bisschen mehr Liebe reinstecken.» Mehr Liebe funktioniert, weil der Draht zwischen den künstlerischen Leitern und den Musikerinnen oft direkt ist.
«Kein so grosses Drama»
In Momenten, in denen Flexibilität gefragt ist, sei das ein grosser Vorteil, sagt auch Christian Jott Jenny, künstlerischer Leiter des Da Jazz in St. Moritz. «Wenn man in den früheren Jahren vernünftig gewirtschaftet hat, ein gutes Beziehungsnetz aufgebaut hat, wenn ein grosses gegenseitiges Vertrauen da ist, ist das kein so grosses Drama.»
Christian Jott Jennys Gelassenheit hat einen Grund: Das Da Jazz war eines der wenigen Sommerfestivals weltweit, das im vergangenen Jahr stattfand. Mit einem Festival unter Corona-Bedingungen hat er also Erfahrung.
Gegenseitiges Vertrauen und ein gutes Beziehungsnetz – für Jenny heisst das auch: «Wenn es irgendwie geht, machen wir keine Verträge mehr. Verträge sind etwas für Anfänger.»
Verträge und Verantwortung
Keine Verträge? Für Andreas Fleck vom Boswiler Sommer kommt das nicht in Frage. Gerade kleine Festivals hätten eine besondere soziale Verantwortung. Denn es treten eben nicht die Superstars auf, die mit Rücklagen und Tantiemen durch die Coronakrise gekommen sind.
«Die Zeit macht klar, wie verletzlich das ganze System ist. Die Freiheit, so schön und wichtig sie sein mag, ist eine Bürde, wenn es um die soziale Sicherheit geht.» Trotzdem kann auch Andreas Fleck aktuell nicht garantieren, den Musikerinnen und Musikern die vollen Honorare zahlen zu können. Wenn die Kapazität der Boswiler Kirche von 300 auf 50 beschränkt bleibt, fehlen die Ticketeinnahmen in der Kasse.
Spezielle Klausel
Was passiert, wenn das Festival doch abgesagt werden muss? Über das Worst-Case-Szenario macht sich Graziella Contratto, Co-Leiterin des Alpentöne-Festival in Altdorf, gerade Gedanken. Sie hat bereits einen Teil des Budgets für Ausfallentschädigungen beiseite gelegt. Aber anders als zum Beispiel das Gurten-Festival arbeitet Alpentöne nicht gewinnorientiert.
«Mir wäre es auch lieber gewesen, wir hätten sagen können, das Honorar wird auf jeden Fall ausbezahlt. Das ist aber bei einer Non-Profit-Organisation nicht so einfach.» Auch Contratto hat mit den meisten Musikerinnen und Musiker bereits Verträge abgeschlossen.
Sie enthalten eine spezielle Klausel. «Früher gab es die Force-Majeure-Klausel, wenn jemand krank wurde oder das Festival nicht durchgeführt werden konnte. Durch Corona ist das viel komplizierter geworden.»
Volle Kraft voraus
Was auffällt: Die einen, wie Alpentöne oder der Boswiler Sommer, wollen den Musikerinnen, den Förderern und dem Publikum Sicherheit geben, indem sie verschiedene Eventualitäten mitdenken. Anders das Festival Da Jazz in St. Moritz: «Wir überlegen solche Eventualitäten erst im Nachhinein.»
Christian Jott Jennys Strategie heisst: volle Kraft voraus. «Ich gehe immer davon aus: Die Künstler wollen spielen, wir wollen ein tolles Festival machen, die Leute wollen ein Konzert besuchen. Alle wollen das Beste. Am Ende sitzen wir also alle im gleichen im Boot.»