Wenn man sich auf die Suche nach Musikerschmerzen begibt, findet man schreckliche Dinge: Entzündungen. Atemnot. Kieferprobleme. Schlaflosigkeit und Sehstörungen. Hörschäden, wenn die Bratschen direkt vor den Blechbläsern sitzen und die Fortissimo-Fanfaren ins Ohr gehämmert bekommen.
Ein Schnitt mit folgenschweren Konsequenzen
Prominente Beispiele gibt es genug: Reinhard Goebel etwa, der Gründer der «Musica Antiqua Köln». Nach langen und immer schlimmeren Krämpfen und Schmerzen in der linken Hand, der Griffhand, hat er die Konsequenz gezogen und umgelernt, hat gelernt, die Geige rechts zu halten, rechts zu spielen statt links.
Oder: Der Pianist Murray Perahia. In der Mitte seiner Karriere schneidet er sich mit einem Blatt Papier in den Daumen. Was scheinbar harmlos anfängt, entwickelt sich zu einer langwierigen, überaus schmerzhaften Geschichte: Durch das Klavierspielen entzündet sich sein Daumen immer wieder. Jahrelang muss er seine Karriere unterbrechen.
Die Wirbelsäule leidet oft
«Haltungsschäden sind bekannt», sagt Jürg Kesselring von der Schweizerischen Gesellschaft für Musikmedizin. Er ist Neurologe und Chefarzt in Valens (GR). «Vor allem die Halswirbelsäule ist bei vielen Musikerinnen und Musikern in Mitleidenschaft gezogen.»
Oft ist die Grundhaltung das Problem. «Bei sitzenden Musikern sind Rückenschmerzen weiter unten häufiger. Cellisten, die nicht auf die Stellung des Beckens achten, können dann Störungen im Bereich der Lendenwirbelsäule aufweisen», sagt Kesselring.
Ungünstige Feedbacks an das Gehirn
Gibt es eine Rangliste der häufigsten Wehleiden? «Nicht wirklich. Alles kommt vor.» Ein Phänomen ist aber laut Jürg Kesselring wahrscheinlich am häufigsten: Die fokale Dystonie, der sogenannte Musikerkrampf.
Wenn übermässig und falsch geübt wird, kommt es zu einer fehlerhaften Verschaltung im Gehirn. Man nimmt heute an, dass diese der fokalen Dystonie zugrunde liegt. Sie kommt durch ungünstige Feedbacks an das Gehirn zustande. Rückmeldungen aus der Hand, aus den Gelenken und aus der Muskulatur.
Robert Schumanns Mittelfinger
Das bekannteste Beispiel für fokale Dystonie ist der Pianist Robert Schumann. Voll guter Vorsätze zieht der junge und ambitionierte Schumann in das Haus des Klavierpädagogen Friedrich Wieck ein.
Dieser nimmt ihn auf, da Schumann offenbar die nötige Disziplin und Verbissenheit mitbringt: Nächtelang versucht Schumann, dem von Natur aus schwachen Ringfinger die gewünschte Unabhängigkeit anzutrainieren. Dafür hängt er den Mittelfinger der rechten Hand an einer Art Galgen auf.
Das Aus für die Karriere
Es kommt zu einer Sehnenscheidenentzündung, dann zu einer Lähmung der ganzen Hand und schliesslich will der Mittelfinger dem Willen von Schumann gar nicht mehr gehorchen: fokale Dystonie.
Für Schumann ist es das Aus seiner Karriere als Pianist. In dieser Zeit entsteht die «Toccata op. 7», ein Stück, spielbar ohne Mittelfinger. So kann Schumann das Stück wenigstens selber vortragen.
Botox und Blindenschrift gegen Musikerschmerzen
Was hätte Schumann gegen die fokale Dystonie seines rechten Mittelfingers tun können? Würde er heute leben, würde er vielleicht zu einem Arzt wie Jürg Kesselring gehen. Denn es gibt Möglichkeiten. Botox zum Beispiel: Eine Überbeanspruchung wird mit einer Lähmung bekämpft.
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Oder, wie Jürg Kesselring sagt: «Weil wir jetzt annehmen, dass bei den fokalen Dystonien die Verschaltung im Gehirn anders ist, soll man dem Gehirn auch andere Rückmeldungen zuführen.»
Eine interessante Therapie: Betroffene Musiker sollen die Blindenschrift erlernen. So werden andere Rückmeldungen aus den Fingerrezeptoren dem Gehirn zugeführt und es kann zu einer Neu-Verschaltung kommen. Eine langwierige, komplizierte Therapie, die aber erfolgversprechend scheint.