Gegen Ende der 1990er-Jahre haben Wissenschaftler und Ärzte erstmalig die Bedeutung der Musik und der Musiktherapie für die Altenpflege erkannt und untersucht. Musiktherapie für alte Menschen hat in der Schweiz allerdings bereits eine lange Tradition: Als erster erprobte der Komponist und Musikpädagoge Émile Jaques-Dalcroze (1865-1950) Körperübungen in Musikbegleitung. Die Resultate waren überraschend und werden auch heute noch in Jaques-Dalcroze-Ateliers bestätigt: Die Teilnehmer brauchen weniger Beruhigungsmittel, verbessern ihre Orientierung und ihr Sprachvermögen.
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Musik vernetzt die Nervenbahnen neu
Auch in Deutschland betreuen heute zahlreiche Musiktherapeuten Menschen mit Demenz. Zum Beispiel die Musiktherapeutin Simone Willig. Sie sagt: «Die Musik sorgt dafür, dass sich Nervenbahnen im Gehirn neu und anders vernetzen.» Das könne zum Beispiel der Sturzprophylaxe dienen. Musik bedeute aber auch, dass die Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit, Fähigkeiten der Motorik und des Gedächtnisses erhalten bleiben.
Von der positiven Wirkung von Musik sind auch die Mitglieder des Musikprojektes «Klang und Leben» überzeugt. «Klang und Leben» besteht aus dem Sänger Oliver Perau, dem Gitarristen Jens Eckhoff – er war früher Keyboarder der Band «Wir sind Helden» –, dem Pianisten Andreas Meyer, dem Sozialpädagogen und Musiker Karsten Kniep und dem Demenzcoach Graziano Zampolin.
Zampolin hat als Krankenpfleger jahrelang Fachkräfte im geronto-psychiatrischen Bereich ausgebildet, bevor er die Initiative gründete. Seit 2013 reist das «Klang-und-Leben»-Team durch Deutschland und macht Musik in Seniorenheimen sowie ambulanten Pflegediensten.
«So fühl' ich mich sauwohl»
Wenn die Musiker von «Klang und Leben» zweimal wöchentlich auftreten, musizieren und animieren sie ehrenamtlich – freilich mit Unterstützung von Politikern, von prominenten Künstlern und von finanzstarken Sponsoren. Unter dem Motto «Eine musikalische Zeitreise» präsentieren sie Schlager der 1930er-, 40er- und 50er-Jahre.
«Gerade die alten Lieder wecken auch die Erinnerungen von damals. Und man merkt einfach, dass gerade die dementen Menschen, die sonst kaum Reaktion zeigen, auf einmal aufblühen, mitsingen, mitklatschen», sagt die Altenpflegerin Sabina Rosa Li Vecchi. Ein alter Herr neben ihr singt kräftig mit: «So fühl' ich mich sauwohl, könnte Bäume ausreissen. Mir fehlt ja nichts. Ich nehme keine Tabletten, gar nichts!»
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Der Pflegeexperte Graziano Zampolin hat mit Hilfe des Neurologen Eckhard Altenmüller die Anfangsphase des Projekts ausgewertet und die Erkenntnisse und Ergebnisse online veröffentlicht. «Mediziner sehen in der Demenz eine Krankheit. Forschung und Pharmaindustrie versuchen, dieser Krankheit in erster Linie medikamentös zu begegnen», so Zampolin. «Es werden hunderte Millionen Euro in die Forschung gesteckt und Milliardenumsätze mit Medikamenten erzielt, die den degenerativen Prozess der Demenz aufhalten sollen. Die Erwartungshaltung der Betroffenen und der Angehörigen auf Heilung oder Linderung der Erkrankung ist gross.»
Dagegen sieht Zampolin die Demenz eher als natürlichen Alterungsprozess und in der Begegnung mit ihr einen gesellschaftlich integrativen Ansatz. Einen wichtigen Beitrag dazu liefert die Musik.