Der Produzent und Songwriter Roman Camenzind gehört mit seiner Firma «Hitmill» zu den erfahrensten und auch zu den kommerziellsten Musikproduzenten der Schweiz. Seit ihrer Gründung 1997 hat die Firma über 30 Songs in die Schweizer Charts gebracht, fünf sind Nummer-1-Hits geworden. Ein Gespräch über Songs, die Schweizerinnen und Schweizer zum Schwärmen bringen.
SRF: Im Brill Building in New York konnte eine kleine Gruppe von Teenagern von 1958 bis 1968 Dutzende von Hits landen. Was war ihr Erfolgsgeheimnis?
Roman Camenzind: Das war zu einer Zeit, als der Sound enorm wichtig war. Nur wenige konnten ihn machen, aber der Markt hat diesen Sound verlangt: verzerrte Gitarre, Rock 'n' Roll, das alles war noch ganz am Anfang. Das hat der Chef von Aldon Music erkannt und sich gesagt: Der Markt verlangt mehr, als die Musikwelt hergeben kann. Jetzt mache ich solche Musik.
Heute steckt die Musikindustrie in der Krise. Was heisst das konkret für Künstlerinnen und Künstler?
3000 Songs kommen heute jeden Tag raus. Da muss man sich genau überlegen, wie man sich in dieser Flut platzieren soll.
Künstler müssen den Kern des eigenen Wesens herausschaffen.
Bei den meisten Bands muss ich sagen: ‹Warte, jetzt machst du Musik auf Englisch, Soulmusik?! Kannst du mir sagen, warum die Welt das noch braucht? Das hat doch keine künstlerische Relevanz. Das gibt es doch schon hunderttausendfach. Wenn du nicht die bessere Stimme hast als Aretha Franklin oder Whitney Houston, dann lass es bleiben.›
Tough, diese Aussage. Wie muss man sich denn heute Ihrer Meinung nach profilieren?
Künstler müssen den Kern des eigenen Wesens herausschaffen. Ein Beispiel: Die Karriere von Singer-Songwriter Adrian Stern hat sich anfangs nicht entwickelt. Dann hat er mir seine Musik gezeigt – die war sehr wild, mit viel verzerrter Gitarre.
Ich kannte Adi Stern nur flüchtig, spürte aber: Das ist ein Träumer, ein Romantiker, ein total positiver Typ. Und ich sagte zu ihm: ‹Adi, wem willst du beweisen, dass du ein Wilder bist? Das passt doch gar nicht zu dir, dass du laut sein willst. Die elektrisch verzerrte Gitarre, die will laut sein, die will anecken – aber das bist doch nicht du. Arbeite mit der akustischen Gitarre und versuche nicht, die Leute von etwas zu überzeugen, das du nicht bist. Lass doch zu, dass du ein Romantiker bist, schreib über die Liebe und hab keine Angst vor Leuten in deinem Umfeld, die dann finden, du seist der «Schnulzen-Adi».›
Nicht jeder Romantiker will ein Schnulzen-König werden. Wie hat Adrian Stern darauf reagiert?
Unsere Begegnung hat einen Knopf in ihm gelöst: Wenige Wochen später hat er mir «Amerika» ins Studio gebracht. Dieses träumerische Lied vom Abhauen ist sein erfolgreichster Song geworden. Denn «Amerika» passt zu Adi. Die Leute merken, ob ein Song zur Persönlichkeit passt oder nicht.
Mit der wilden Facette seiner Persönlichkeit hätte Adrian Stern vielleicht auch ein Publikum gefunden – nur einfach ein kleineres. Ihre Firma «Hitmill» visiert allerdings die Masse an. Wissen Sie denn, wer das konkret ist: dieses «grosse Publikum in der Schweiz»?
Ich masse mir nicht an, so etwas wie den «Durchschnittschweizer» zu erfinden. Den gibt es nicht. Aber ich bin in diesem Land aufgewachsen, höre hier Radio, Fernsehen, bin beeinflusst durch die Medien und Musik in diesem Land. Und wenn mir etwas gut gefällt, kann ich nicht völlig daneben liegen.
Sie machen also Musik für die Seele der Schweiz, so wie Sie sie spüren. Wo ist denn diese Seele am ehesten zuhause?
Mit Schweizer Musik holst du den Zürcher Kreis 4- und Kreis 5-Hipster grundsätzlich nicht ab. Das hört sich der nicht an. Ich glaube, oft vergessen geht: Die Schweiz besteht zu einem grossen Teil aus Agglomeration.
Kommerz ist mein Musikstil.
In der Agglo wohnen und kaufen die Leute, nicht in der Stadt. Aber das Radio und die anderen Medien haben immer das Gefühl, «jung, dynamisch und trendy» sei die Währung für Musik und Film. Das stimmt aber nicht. Die meisten Leute leben nicht so.
Sie leben mit ihrer Frau und Kindern in einem Haus im Aargau. Welche Musik hören denn Sie persönlich am liebsten?
Ich höre Hitparaden-Musik. Ich war von Anfang an fasziniert von der Frage, warum ein Song, eine Melodie, ein Text, ein Groove so gut ist, dass alle Leute dazu abgehen. Kommerz ist mein Musikstil.
Das Gespräch führte Annina Salis.