Citizen. European. Pianist. ln dieser Reihenfolge stellt sich Igor Levit auf seinem intensiv bespielten Twitter-Account und seiner Website vor. «Als reinen Pianisten habe ich mich nie gesehen. Dafür war ich immer schon viel zu neugierig.»
Levit twittert täglich. Mehrfach. Er äussert sich dabei pointiert politisch. Sich in gesellschaftspolitische Themen einzumischen, ist für ihn Pflicht – Bürgerpflicht. Die Zeit, in der man passiv sein könne, sei vorbei.
Persönliche Dringlichkeit
Initialzündungen für sein politisches Engagement gab es einige: Occupy Wall Street, der Umgang mit Griechenland in der Eurokrise, die ersten Zeitungsartikel über Flüchtlingsboote auf Lampedusa, das Nicht-Schliessen von Grenzen seitens der deutschen Bundesregierung im Herbst 2015.
Ganz besonders aber treibt ihn das Erstarken eines deutschen Neofaschismus um. Da wird es bei ihm persönlich.
Eine Wunde, die nie verheilt
In seiner Kindheit in Hannover habe die Tatsache, dass er aus einer jüdischen Familie stammt, nie eine Rolle gespielt. Doch das änderte sich mit den Jahren, es wurde zum Thema gemacht und die ersten Verletzungen kamen.
«Es gab 2011 ein sehr gepflegtes Abendessen bei jemandem zu Hause», erinnert sich Levit. «Unter den Gästen war ein Jurist, Anfang 40, der mich überhaupt nicht kannte. Nach einem fünfminütigen Gespräch mit mir sagt er, ich dürfe nie vergessen, dass ich zu einer Bevölkerungsgruppe gehöre, die hier zwar lebt, die hier zu leben aber nicht mehr vorgesehen war.»
Diese Wunde sei nie verheilt. Über die Jahre hinweg habe er noch einige solche erfahren. «Beispielsweise wenn heute, 24 Jahre nachdem meine Familie und ich hierhergekommen sind, mir gesagt wird, dass mein natürliches Zuhause Israel sei, weil ich ja Jude sei.» Das mache ihn sprachlos. «Du bist im Grunde deiner Existenz beraubt.»
Levit wird ungeduldig
Doch auch die Klimapolitik steht ganz weit oben auf Levits Prioritätenliste. Bei diesem Thema wird er extrem ungeduldig: «Wir wollen nichts anderes als das, was die Regierung unterschrieben hat, nämlich das Pariser Abkommen. Das ist die Forderung. Dass diese Forderung von einer zumeist sehr männlichen, schwer rechtslastigen und auch ein bisschen zynischen Welt als radikal abgestempelt wird, macht mich sprachlos. Da bleibt mir die Spucke weg.»
Igor Levit hat eine Mission als Künstler und als Bürger. Und damit polarisiert er. Seine politische Hingabe ist so gross, dass er sich sogar vorstellen könne, seine pianistische Karriere an den Nagel zu hängen, wenn es die gesellschaftliche Situation erfordere.
«Wir leben in einer Zeit, in der es eine unangenehme, neue rechte Realität gibt. Und der Tag, an dem ich mit dem Gefühl aufwache, über die Dächer meiner Liebsten fliegen Geschosse und sie sind ihres Lebens nicht mehr sicher, ist der Tag, an dem ich nicht mehr ruhig werde Klavier üben können.»