Der Name Raff auf dem Plakat füllt heute keinen Konzertsaal mehr. Das war noch ganz anders, als der Zeitgenosse von Schumann, Liszt, Wagner und Brahms das Musikleben in Deutschland mitprägte.
Das positive Urteil von Felix Mendelssohn hatte den angehenden Volksschullehrer aus Lachen am Zürichsee zuvor ermutigt, alles auf eine Karte zu setzen und sich ganz der Musik zu verschreiben.
Bettelarm in Zürich
Diese Entscheidung löste in Joachim Raffs Familie keine Begeisterung aus. Sein Vater, ein Flüchtling vor der Zwangsrekrutierung in Napoleons Armeen, hatte in der Schweiz Zuflucht gefunden und sich eine Existenz als Schullehrer aufgebaut.
Er war ein strenger Mann. Sein Sohn, so schäumte er, sei ein Bettlermusikant geworden. Das war nicht einmal weit von der Wahrheit entfernt.
Der junge Joachim Raff zog in die Stadt, um sein Glück als Künstler zu machen. Aber er fand kaum Arbeit – und auch kein rechtes Obdach. Mit Musikunterricht und gelegentlichen Auftritten überlebte er mehr schlecht als recht.
Ein Fussmarsch im Regen
Die Wende in seinem Leben kam unter denkwürdigen Umständen. Kein anderer als der Klaviergott seiner Zeit, Franz Liszt, sollte in Basel auftreten. Raff war zu arm für die Postkutsche, ihm blieb nur die Fussreise von Zürich nach Basel: Zwei Tagesmärsche, teils im strömenden Regen.
Völlig durchgeweicht kam Raff in Basel an, das Konzert im Casino hatte bereits begonnen. Zudem teilte man ihm mit, das Konzert sei ausverkauft. Für ihn gebe es keine Karte mehr.
Tropfend auf der Bühne
Doch der Sekretär von Franz Liszt bekam alles mit und erzählte dem Virtuosen in der Pause von der traurigen und durchnässten Gestalt am Eingang. Liszt zeigte sich von seiner berühmt grosszügigen Seite – der junge Fan sollte nicht enttäuscht von dannen ziehen. Er bot Raff einen Stuhl auf der Bühne an.
Da sass der junge Mann aus Zürich überglücklich und «tropfend wie ein Brunnen» neben seinem Idol und hörte ihm zu. Nach dem Basler Konzert gerieten die beiden ins Gespräch, und Liszt war beeindruckt von der Hingabe des jungen Musikers.
Assistent eines Klavierstars
Die Verbindung zu Franz Liszt stellte Weichen in Raffs Leben. Der Klavierstar und Komponist wurde sein Mentor, besorgte ihm Aufträge. Als Liszt zum Kapellmeister in Weimar berufen wurde, nahm er Raff als Assistenten mit.
Die sieben Jahre in Weimar wurden eine harte Gesellenzeit. Raff profitierte zwar vom Prestige, im Schatten von Franz Liszt zu arbeiten. Der künstlerische Austausch mit dem «Meister» war lebhaft und fruchtbar. Aber er fühlte sich mehr und mehr ausgenützt.
Das provinzielle Weimar ödete ihn an, es war eine Insel, weitab von den grossen Musikzentren. Das Verhältnis zu Liszt und dessen Gefährtin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein verschlechterte sich zusehends.
Dankbar bis begeistert
Was Joachim Raff rettete, war seine Liebe zur Schauspielerin Doris Genast. Er folgte ihr nach Wiesbaden, und nach der Heirat begann eine gesicherte, produktive Phase im Leben des Komponisten.
Seine elf Sinfonien, sechs Opern, Konzerte, Kammermusik und Lieder wurden vom Publikum dankbar und manchmal sogar begeistert aufgenommen.
Das Etikett «Vielschreiber» bleibt
Ab 1877 wirkte Joachim Raff als Kompositionslehrer in Frankfurt am Main und war dort auch ein Kollege von Clara Schumann. Er genoss internationales Ansehen als Lehrer wie als Leiter des Konservatoriums von Dr. Joseph Hoch.
Als «Vielschreiber» abqualifiziert
Doch die Kritiker setzten ihm zu: Sein Schaffen wurde als epigonal, er selbst als «Vielschreiber» abqualifiziert. Raff selbst war einerseits jedem Starkult und Rummel um seine Person abhold, andererseits aber ein streitbarer Charakter, der kaum etwas tat, um seine Kritiker zu besänftigen. Das mag dazu beigetragen haben, dass der selbstherrliche Musiker nach seinem Tod dieses Etikett nicht mehr loswurde.
Es hat das Andenken an den Romantiker vom Zürichsee lange Zeit überschattet. Bis nach über 100 Jahren seine Werke doch wieder Platz und Anerkennung fanden im Konzertsaal.