Sinnlich und stolz schaut Regula Mühlemann vom Cover ihres neuen Albums «Cleopatra». Die junge Sängerin aus Luzern ist die derzeit grösste Schweizer Hoffnung auf dem Klassikmarkt.
Für ihre neuste Platte hat sie sich in die ägyptische Königin verwandelt, um die es in den barocken Opernarien auf der Platte geht. Solche thematischen Alben sind derzeit ein beliebtes Mittel, um sich auf dem übervollen Klassikmarkt zu behaupten.
Jährlich mehr als 4000 Neuproduktionen
Trotz sinkender Verkaufszahlen werden weltweit jährlich über 4000 Klassik-CDs neu produziert. 2016 waren insgesamt knapp 80'000 physische Klassik-Alben für Schweizer Händler im Vertrieb verfügbar – das sind 15'000 mehr als 2007.
Nicht nur künstlerisches Niveau ist gefragt, sondern Geschichten, die sich vermarkten lassen. Regula Mühlemann legt mit ihrer «Cleopatra», die bei Sony Classical erschienen ist, eine Besonderheit vor: Eine Arie aus der Oper «Giulio Cesare in Egitto» des Italieners Antonio Sartorio, die über 300 Jahre vergessen war. Ein gutes Kaufargument für diejenigen, die nach neuen Entdeckungen Ausschau halten.
Nischen müssen besetzt werden
Auch wenn eine Aufnahme zunächst nur eine Nische besetzt: Als musikalische Visitenkarte hilft sie dem Künstler, ein Image aufzubauen und in den Medien präsent zu sein. Letztlich geht es darum, den Künstler bekannter zu machen, um mit Konzertengagements schliesslich das Geld zu verdienen.
Wer wüsste das besser als Sony Classics. Das Label hat bereits Stars wie den chinesischen Pianisten Lang Lang oder den griechischen Dirigeten Teodor Currentzis geformt.
Martin Korn, der als One-Man-Show den Riesen Sony auf dem Schweizer Klassikmarkt vertritt, bringt es auf den Punkt: «Man muss sich hervortun.» Kontroverse Interpretationen seien gefragt. Entweder werde man geliebt oder gehasst.
Streaming bestimmt den Markt
Aber nicht nur die Programmatik spielt eine Rolle, auch die Rezeption ändert sich rasant. «Auf dem Schweizer Markt hält sich der digitale und physische Absatz bereits die Waage», erläutert Martin Korn. 2016 waren knapp 160'000 Alben digital verfügbar.
Der digitale Markt wird zunehmend vom Streaming und nicht mehr von Downloads bestimmt – ganz ähnlich wie in der Rock- und Popmusik. Es geht nicht mehr darum, ein Album zu verkaufen, sondern darum, dass die einzelnen Titel möglichst oft gespielt werden. Dazu müssen sie in die Playlists der Streamingdienste wie Apple Music oder Spotify aufgenommen werden, die besonders bei jüngeren Nutzern beliebt sind.
Playlist-Hörer sind die Zukunftshoffnung
«Klassik zur Dinnerparty» oder «Klassik für die Konzentration» stehen für situationsbezogenes Hören. Streamingdienste wie Idagio, die auf Klassik spezialisiert sind, locken mit von Experten kuratierten Playlists. Für die Labels geht es darum, die Aufnahmen ihrer Schützlinge in diesen Playlists besonders weit oben zu platzieren.
Der Grund dafür: Playlist-Hörer sind die Zukunftshoffnung. Wer dank den Goldberg-Variationen aus der «Klassik zum Lernen»-Playlist einmal besonders gute Lernerfolge erzielt hat, geht vielleicht auch mal in ein klassisches Konzert.
Damit diese neuen Hörer dort wiederum keinen Schock erleben, werden seit einigen Jahren unzählige neue Formate ausprobiert. Vom Wohnzimmerkonzert bis zum Open-Air-Festival am Meer, wie zum Beispiel «Un violon sur le sable» in Royan, Frankreich. Die Hauptsache ist, dass Klassikhören zu einem besonderen Erlebnis wird.
Das gemeinsame Erlebnis neu entdeckt
Hans-Georg Hofmann vom Sinfonieorchester Basel erklärt: «Der Trend geht wieder stärker dahin, das Live-Konzert gegenüber der heimischen Highend-Stereoanlage zu bevorzugen: Musikhören als gemeinsames metaphysisches Erlebnis im Konzertsaal, aber auch ‹back to the roots› – als geselliges Zusammensein bei einem Glas Wein.»
Digital Concert Halls auf dem Vormarsch
Diese neuen Räume können gern auch mal digital sein und das Live-Erlebnis medial vermittelt. Die sogenannten Digital Concert Halls, also Internetplattformen, auf denen man Konzerte entweder live verfolgen oder später in der Mediathek schauen kann, sind auf dem Vormarsch.
Vor neun Jahren boten die Berliner Philharmoniker unter dem Motto «Hier spielen wir nur für Sie» ihren Fans erstmals ein Gastspiel im Wohnzimmer an. Heute haben sie über 900‘000 registrierte Nutzer, darunter rund 30‘000 Zahlkunden, heisst es aus Berlin.
Den Konzertbesuchern Geschichten bieten
Mit dem Gstaad Digital Festival hat die Schweiz seit letztem Jahr ein Pendant vorzuweisen, das mit 1‘000 Nutzern noch am Anfang steht. Der Intendant Christoph Müller hofft, dadurch das Publikum der physischen Konzerte zu erweitern: «Wenn man Konzerte digital erleben kann, ist es ein umso grösseres Vergnügen, auch live vor Ort dabei sein zu können.»
Neben den Konzerten bietet die Plattform auch eine Fülle von Backstage-Videos, in denen die Künstler über sich und ihr Leben plaudern. Das hilft wiederum, ihre Geschichten zu vermitteln.
All diese unterschiedlichen Bestrebungen zeigen vor allem eines: Einfach nur gut sein, reicht auf dem Klassikmarkt längst nicht mehr aus. Ob einzelner Musiker oder Konzertveranstalter – das ganze Paket muss stimmen.
Sendung: Radios SRF 2 Kultur, Kontext, 9.2.2018, 9 Uhr