Später schrieben alle, er wäre der Wegbereiter der Neuen Deutschen Welle gewesen. Dabei machte er bloss «bi bip bi bip» im Hintergrund und liess an Konzerten Super-8-Filme laufen.
Die Rede ist natürlich vom Stück «Eisbär» der Band Grauzone, deren temporäres Mitglied Stephan Eicher war. Mitgekriegt habe ich das aber nicht. Ich war da erst acht.
Der Freche mit den Sprachen
Hingegen erinnere ich mich genau, als ich «Two People in A Room» zum ersten Mal hörte. Ich verstand, dass zwei Leute alleine in einem Raum etwas taten. Da war ich 13, und Stephan – wie ich hinterher las – schon ein kleiner Star.
Dass er aus Münchenbuchsee stammte, wusste ich natürlich nicht, er sang ja Englisch. Und Französisch, muss man hinzufügen. Das fand ich grossartig, dass da einer derart frech Sprachen durcheinander bringt.
Er kann auch Berndeutsch!
Dass er auch Berndeutsch kann, realisierte ich – wie viele andere – erst 1989. Da erschien die Platte «My Place». Und da waren nicht nur – wie uncool für einen Popmusiker – Streicher mit drauf, sondern auch das «Guggisberglied», das unschweizerischste aller Schweizer Volkslieder.
Ich kannte es in- und auswendig, da ich im Schatten dieses Horns aufgewachsen war. Aber so wie Eicher das sang, hatte ich es noch nie gehört.
Ein Hinhörer am Radio
Dass ich es überhaupt wahrnahm, lag an DRS 3. Es gab bei uns draussen auf dem Land nur einen Sender, «den man hören konnte». Und die Leute im Radio mochten Eicher offenbar. «Combien de temps», «Silence» und «I Tell This Night» kannte ich mangels grossem Bruder, den man hätte fragen können, alle aus dem Radio.
1991 sah ich Eicher dann zum ersten Mal live, im Luzerner Kunsthaus (ja, das war die Zeit, bevor der Luxustempel KKL errichtet wurde).
Als Zugabe spielte er ein Lied einer unbekannten Band aus Bern, verbunden mit der Bitte, man solle doch deren Platte kaufen: Es war «Bälpmoos» von Patent Ochsner. Einen besseren Take-off kann man sich als junge Band kaum vorstellen.
Bisschen Heimat, bisschen Mittelalter
«Des hauts, des bas» erreichte mich schon digital. Eicher hatte die Automaten, mit denen er sich inzwischen wieder umgibt, hinter sich gelassen und einige der besten Musiker Europas zuerst in «Engelberg» (1991), dann in «Carcassonne» (1993) versammelt, wo seine wohl besten Alben entstanden: kraftvoll, innovativ, verspielt, mit einem Bein im Mittelalter oder der Schweizer Heimat, mit dem anderen irgendwo im zusammenwachsenden Europa.
Interviewt habe ich ihn nur einmal, als er 2002 für Tinu Heiniger ein Album produzierte. Ich fand das enorm grosszügig, dass einer wie er einem zwar genialen, aber leider nicht sehr bekannten Liedermacher unter die Arme griff und so dessen Popularitätsradius enorm erweiterte.
Kein begnadeter Texter
Überhaupt die Freunde. Eicher ist kein begnadeter Texter, aber er kennt welche, die schreiben können. Allen voran Philippe Djian, bekannt für derbe, erotisch aufgeladene Romane, der brillante Songs wie «Des hauts, des bas» oder «Déjeuner en paix» mit dem richtigen Anteil an Poesie und Wortwitz ausstattete, um Eicher auch in Frankreich zum Durchbruch zu verhelfen.
Klaudia Schifferle, die ehemalige Bassistin der Zürcher Frauenpunkband Kleenex, war ebenso eine textende Weggefährtin, wie seit rund einer Dekade Martin Suter, der offenbar derart gut mit Eicher kann, dass die beiden nun gemeinsam ein Buch veröffentlichen. Auf Deutsch, logischerweise!
Eicher – der Romand?
Doch obwohl man es längstens hätte wissen müssen, hielt sich die Mär, Eicher sei französischer Muttersprache, hartnäckig. Eine inzwischen pensionierte SRF-Kollegin hat ihn vor vielen Jahren am Paléo Festival in Nyon interviewt, auf Französisch. Und Eicher machte fröhlich mit! Dabei spricht nur einer so wie er.
Kürzlich habe ich dieses Französisch in einem jordanischen Restaurant in Genf hinter mir sprechen hören: das gerollte R, die für einen Mann relativ hohe Stimme. Und ich dachte mir: Das kann eigentlich nur einer sein: Stephan Eicher. Ich drehe mich um, und er ist es, der Barde persönlich.
Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 24.09.2017, 11.00 Uhr.