Der Zürcher Thomas Fehlmann hat die ersten Tage von Techno in Berlin mitgeprägt. Schon früh arbeitete er mit den Erfindern des Techno aus Detroit zusammen. Auch mit 61 Jahren bleibt er dieser Musik treu: Soeben ist sein neues Album erschienen.
SRF: Was fasziniert Sie am Techno?
Thomas Fehlmann: Mich hat das sofort angesprungen. Dieses Rohe, dieses Kaputte, diese Radikalität! Das war Mitte der 1980er-Jahre, als es mit Techno und House losging.
Wie diese Leute aus Detroit und Chicago mit einfachstem Equipment Musik gemacht haben. Das war für mich der Magnetpunkt. Und heute ist Techno für mich die Kunstform, die rauskommt, wenn ich im Studio meine Maschinen anwerfe.
Sie sind von der Kunst zur Clubmusik gestossen.
Mich interessiert Musik, die Reibung erzeugt. Und das schwang beim Techno immer mit: er erhob das Runterreissen und neu Zusammenbauen zur Methode. Das ist für mich auch heute noch bestechend. Und so versuche ich mit Techno Schönheit zu kreieren.
Wir wussten damals gar nicht, wie uns geschah, obschon wir mitten drin waren.
Als einer der ersten Europäer haben Sie einen Draht zu den Techno-Musikern aus Detroit gezogen. Was hat die Begegnung bei Ihnen ausgelöst?
Es hat mir ein ganz anderes Selbstvertrauen gegeben. Ich wusste dann: Alle kochen nur mit Wasser. Zu der Zeit hat man sich als Techno-Musiker in Deutschland wenig zugetraut. Alles was aus England oder den USA kam, klang vermeintlich besser. Das Zusammentreffen mit den Erfindern aus Detroit hat mir den gesunden Mut gegeben, meine eigene Version von Techno voranzutreiben.
Im Studio von Moritz von Oswald, ihrem Berliner Musikerkollegen, stand damals auch ein Gerät, das mal der Band Kraftwerk gehört hatte.
Das war ein Sequencer, ein ARP 1601. Mike Banks aus Detroit hat ihn immer gerne angefasst. Wie ein Schrein, immer wenn er rein- und rausgegangen ist. Der Elektro-Sound von Kraftwerk war ja eine wichtige Inspirationsquelle für die Detroiter.
Man sagt, dass Techno in Berlin zum Soundtrack der deutschen Wiedervereinigung wurde. Der Beat, zu dem sich die Jugend aus Ost- und Westberlin auf der Tanzfläche gefunden hat.
Das lässt sich rückblickend so schön sagen. Wir wussten damals gar nicht, wie uns geschah, obschon wir mitten drin waren. Wie wir damals den Osten kennengelernt haben, diese bisher unbekannte Hälfte von Berlin. Das hatte eine verschärfte Dringlichkeit und gab dem Techno eine unschlagbare Tiefe.
Techno radierte die sozialen Unterschiede aus?
Ja, und ähnlich war es mit den Detroitern. Wir verstanden uns mit ihnen auch instinktiv, da gab es keine Sprachbarriere zwischen uns. Wir hatten unsere eigene Sprache: Techno.
Ihr neues Solo-Album heisst «Los Lagos». Auf Spanisch «die Seen». Was hat es damit auf sich?
Der Titel ist eine Anspielung auf meinen zweiten Wohnsitz in der Uckermark, nördlich von Berlin, wo es viele Seen gibt. Es ist aber auch ein Wortspiel, eine Verhunzung des deutschen Wortes «die Lage». Unter Freunden werfen wir uns manchmal gegenseitig zu: Na, wie ist «Los Lagos»?
Und wie ist die Lage?
Ich will nicht meckern! Das Album war für mich eine Bestandesaufnahme. Ist da noch genug Luft im Reifen für die nächsten 10’000 Kilometer? Ich wollte wieder mal rausfinden, was passiert, wenn ich meine Synthesizer und Geräte im Studio alleine bespasse.
Ich habe zuletzt ja viel Kollaborationen gemacht. Ich habe mir bei der Arbeit auch vorgenommen, den Kopf möglichst auszuschalten und meiner Intuition zu folgen. Entscheide schnell, denk nicht zu lange nach, das war die Devise.
Ist Ihnen das am Ende gelungen?
Ich war überrascht, wie schnell ich mit «Los Lagos» fertig war. Normalerweise bin ich ein langsamer Arbeiter und brauche zirka ein halbes Jahr für so ein Album. Aber hier war tatsächlich alles schon innerhalb von zwei Monaten im Kasten.
Die Frage des Alters stellt sich beim Musikmachen nicht.
Kriegen Sie eigentlich noch mit, was in der Schweizer Clubzene läuft? Sie sind schon 1979 nach Deutschland gezogen.
Ehrlich gesagt: Ich bin schon zu lange weg. Das ist bei mir so, als wär’s ein Land wie Frankreich oder Finnland. Sagen kann ich aber, dass ich den Berner Dimlite besonders toll finde, der ist ein grosser Künstler.
Wenn Sie als 61-Jähriger im Club musizieren, werden Sie manchmal auf ihr Alter angesprochen?
Ja schon, aber die Frage des Alters stellt sich ja beim Musikmachen nicht. Die Frage ist: Wo brennt’s? Das ist viel wichtiger.
Das Gespräch führte Bjørn Schaeffner.