«Die Musik klingt wie etwas Brodelndes», sagt Starkoch Ivo Adam. Ich spiele ihm in seiner Berner Wohnung gerade Beethovens 6. Sinfonie, die sogenannte «Pastoral-Sinfonie», vor. Genauer den ersten Satz «Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande».
Ivo Adam soll sich davon inspirieren lassen – und spontan die Zutaten und die Zubereitung eines Gerichts «à la Beethoven» erfinden. Unseres Wissens ist es das Erste seiner Art.
Während die Sinfonie spielt, beschliesst Ivo Adam, es gebe Hühnerbrust mit Champignon-Rahmsauce auf einem Bett von Sauerkraut (das Rezept findet sich am Ende des Artikels). Ob das Beethoven wohl geschmeckt hätte?
Beethoven sucht sich eine Köchin
Ludwig van Beethoven selbst konnte nicht kochen. Das war normal zu seiner Zeit um 1800. Mann kochte nicht. Das war Frauensache. Oder aber der Job einer Haushälterin, wie auch Beethoven eine hatte.
«Suche Haushälterin, gegen 30, 40 Jahre alt (auch darüber, nur nicht zu sehr). Rechtschaffen und ehrlich müsste sie sein und die Kocherey gut verstehen und gut ausüben», so gab er einmal ein Inserat auf.
Wie er in einem Brief einmal schreibt, dauerte damals «die Schlechtigkeit der Lebensmittel» im von Napoleon besetzten Wien fort. Eine Situation, die Beethoven «krank» machte. Deshalb brauchte er eine verlässliche Köchin.
Für Beethoven war aber auch aus einem anderen Grund wichtig, dass sich seine Haushälterin auf die «Kocherey» verstehe: Ein Kostverächter war der lebenslange Single nicht. Je nach Quelle mochte Beethoven am liebsten Fisch oder Wild. Auch Geflügel stand oft auf seinem Speiseplan.
Kein Vegetarier
Anders als heute, wo die Karnivoren unter uns in der Regel keine anderen Vögel verspeisen als Hühner, standen zu Beethovens Zeit eine Vielzahl von Federtieren auf den Speiseplänen. Zum Beispiel sogenannte Kapaune, also kastrierte Hähne, aber auch Tauben, Wildenten oder Rohr- und Teichhühner. Ein Vegi war Beethoven nicht.
Insofern hätte er das Gericht «Huhn Pastorale» wohl gerne gekostet, das Ivo Adam nun inspiriert von Beethovens Musik in seiner Küche zubereitet.
Kräutersalz und viel Butter
Nach dem Einkauf verrät mir Adam in seiner Küche ein paar Kochgeheimnisse. Kräutersalz ist eines davon: Salz mit getrocknetem Rosmarin oder anderen Kräutern vermischen. «Das aromatisiert das Essen hervorragend und ist erst noch ganz individuell», sagt der Spitzenkoch.
Sein anderes Credo heisst: Butter. Und zwar reichlich. Beim Anbraten sei sie unverzichtbarer Geschmacksträger, sagt Adam: «Kochen ohne genügend Butter ist wie Musik ohne Rhythmus.»
Überhaupt haben Kochen und Komponieren für ihn viele Parallelen. Verschiedene Geschmäcker sind wie verschiedene Klangfarben in einem Gericht. So «komponiert» Adam zu den Röstaromen des Fleisches und den waldigen Noten der Champignons als Kontrapunkt die knackige Säure des Sauerkrauts.
Der Küchenkomponist
Auch ein Meisterkoch legt nicht sofort ein Meisterwerk hin. Wie Beethoven, der an seiner Oper «Fidelio» zehn Jahre lang gefeilt hat, verbessert auch Adam ein Gericht, nachdem er es einmal gekocht hat. Beides, Kochen und Komponieren, könnte man also «work in progress» nennen.
Noch eine Analogie fällt mir an diesem Nachmittag in Adams Küche auf. Die Sparsamkeit. Konnte Beethoven aus vier Noten eine ganze Sinfonie bauen –seine «Fünfte» – so schaut Adam darauf, dass eventuelle Reste nicht im Abfall landen.
Übrig gebliebene Pilze, Gemüsereste oder Teile des Huhns, die er nicht verwendet, wandern in den Suppentopf. No Foodwaste. Das hätte dem auch in Finanzdingen sparsam denkenden Beethoven durchaus gefallen.