In der neuen SRF-Serie «Neumatt» kämpft eine Familie um das Überleben ihres Hofes. Für ihre Hauptrolle tauchte Schauspielerin Rachel Braunschweig ins Bauernleben ein und lernte nicht nur Traktor zu fahren, sondern auch ihr Bild von Bäuerinnen und Bauern zu hinterfragen.
SRF: Welche Klischees über das Bauernleben haben Sie für Ihre Rolle hinterfragen müssen?
Rachel Braunschweig: Als Vorbereitung auf die Rolle habe ich eine Bauernfamilie auf dem Grabserberg im Kanton St. Gallen zum Mittagessen besucht und mich lange mit allen unterhalten.
Für mich war es spannend, mein Bild einer Bauernfamilie zu überprüfen. Dieses «SVP-Bild» hat sich für mich verändert: Man kann das nicht einfach über einen Leisten schlagen. Man muss zuhören und differenzieren.
Ich habe realisiert, mit wie vielen schwierigen Fragen Bäuerinnen und Bauern sich heute auseinandersetzen müssen: Was bedeutet Biodiversität? Was bedeutet sie für den Boden, für die Tiere? Wie kann ein Landwirt heute noch überleben? Das war für mich eine wichtige Horizonterweiterung.
Ich entdeckte auch Parallelen zu meinem eigenen Beruf: Bauern und Schauspielerinnen werden beide von einer grossen Leidenschaft angetrieben. Das Bauern ist eine Lebensform, für die man sich entscheidet.
Wie nehmen Sie den Stadt-Land-Graben wahr?
Es ist schon verrückt: In der Schweiz fährt man 15 Minuten, und schon ist man auf dem Land, in einer komplett anderen Welt und Mentalität. Es sind andere Themen, die die Leute dort beschäftigen.
Man kann vielleicht sagen, dass das Leben auf dem Land übersichtlicher und behüteter ist. Hier versucht man, eine Art von heiler Welt zu konservieren. Das ist mir eher fremd.
Für «Neumatt» haben wir auf einem Hof in der Nähe von Uster gedreht. Es war also nicht völlig abgelegen, man war mit dem Velo in zehn Minuten im Stadtkern. Trotz dieser geografischen Nähe weiss man sehr wenig voneinander.
Sie sind in der Agglomeration aufgewachsen. Gab es auch bei Ihnen wenig Austausch? Sehen Sie einen Unterschied zu Ihren Kindern, die in der Stadt aufwachsen?
Ich bin in Horgen am Zürichsee aufgewachsen, das liegt weniger als 20 Kilometer von Zürich entfernt. Wir waren zwar von Bauernhöfen auf dem Horgenberg umgeben, aber ich hatte fast keinen Kontakt zu dieser Welt. Ich finde es interessant, dass es wenig Austausch gibt, obwohl man sehr nahe beieinander ist.
Heute wohne ich mit meiner Familie in Zürich im Kreis 5, mitten in der Stadt. Das ist eine ganz andere Realität. Unsere beiden Kinder haben von Anfang an gelernt, sich selbstständig in der Stadt zu bewegen.
Allerdings gibt es auch negative Seiten: Mein Sohn wird im Kreis 5 regelmässig von der Polizei kontrolliert. In ländlicheren Gebieten ist das unvorstellbar, dort ist es viel behüteter. Meine Kinder wachsen mit einem Bewusstsein für die Gefahren auf, die in einer Stadt existieren.
Gleichzeitig fehlt ihnen das Wissen darüber, woher die Milch in der Migros kommt. Als meine Tochter klein war, besuchten wir einen Bauernhof. Sie zeigte auf eine Ziege und meinte: «Schau mal, eine Kuh!»
War es schwierig, sich als Städterin in die Rolle der Neumatt-Bäuerin einzuarbeiten?
Der Bauer Werner Locher stand uns bei den Vorbereitungen als beratender Fachmann zur Seite. Wir waren bei ihm auf dem Hof und haben gelernt, wie man richtig Traktor fährt und erntet. Ich wäre gerne noch länger geblieben.
An meiner Rolle fand ich schwierig, dass Katharina Wyss aus Winterthur kommt, sie hat das Bewusstsein einer Städterin. Katharina kam vor 30 Jahren auf die «Neumatt», das hat ihre Mentalität verändert. Sie hat sich als Fremde auf dieses Leben eingelassen und muss sich jetzt überlegen, ob sie tatsächlich hierhin hingehört.
Diesen Zwiespalt darzustellen, war für mich eine ziemliche Aufgabe. Ich habe gemerkt, dass ich eine Mitte finden muss: Katharina lebt zwar schon lange auf dem Land, aber sie hat trotzdem noch städtische Züge. Ich musste eine Balance finden, damit es für das Publikum nachvollziehbar ist.
Das Gespräch führte Anita Richner.