Der Tiefpunkt war im Februar 2017: «Die Firma ging den Bach runter», erzählt Sven Rufer: «Die Stimmung war im Keller, und dann regnete es auch noch die ganze Zeit». Thileeban Thanapalan, sein Freund und Firmen-Compagnon, ergänzt: «Wir waren kurz davor, alles hinzuschmeissen. Oder einer übernimmt den Laden und zahlt den anderen aus. Aber womit? Wir waren praktisch pleite.»
Rufer und Thanapalan taten, was sie immer schon gemacht hatten: gemeinsam durchs Quartier ziehen und reden. Und sie rauften sich zusammen.
Die Firmen-Idee kam beim Töggelen
Mit Spazieren und Reden hatte auch alles begonnen. Sven Rufer und Thileeban Thanapalan, beide Mitte 30, kennen sich seit ihren Zwanzigern. Damals waren sie viel durch den Zürcher Kreis Cheib gezogen. Beim Töggelen entdeckten sie ihren Sports- und Teamgeist: Der eine wollte stets den anderen schlagen. Aber sobald jemand von aussen dazukam, spannten sie zusammen.
Irgendwann fand Thanapalan, der seit seiner Polygrafen-Lehre immer selbständig gearbeitet hatte: «Lass uns eine Firma gründen.» Weil beide schon lange als Hobby filmten, gründeten sie vor acht Jahren die «Filmerei», eine Firma für Dokumentar- und Werbefilme.
Szenen einer (Unternehmer-)Ehe
Im Arbeitsalltag kam es zu Konflikten. «Wir sind vom Charakter her verschieden», erzählt Thanapalan. «Ich bin impulsiv, Sven ist bedächtiger. Das gab Spannungen.» Bei Anschaffungen etwa: Wenn Thanapalan unbedingt ein neues technisches Tool kaufen wollte – und Rufer fand, das alte tue es noch.
Zu Spannungen führten auch die vielen Fahrten zu entlegenen Drehorten und das lange Warten während Drehs: «Manchmal waren wir von morgens früh bis abends spät zusammen», erzählt Rufer, «sieben Tage die Woche. Da hat man den anderen irgendwann satt, wird aggressiv. Ich weiss genau, wo er seine Empfindlichkeiten hat, wann er an die Decke geht.»
Ihr Verhältnis sei vergleichbar gewesen mit einer Ehe, meint Thanapalan: «Wir haben uns auch mal angeschrien, auf den Tisch gehauen, einer ist aus dem Raum gelaufen.» Und er ergänzt: «Es ist vielleicht sogar schwieriger als in einer Liebesbeziehung: Da hast du nach einem heftigen Streit auch mal tollen Sex.»
Wie in einer Ehe kamen sie nicht umhin, Differenzen auszuräumen. Am schlimmsten sei es bei Kundenmeetings gewesen, erinnert sich Rufer: «Du musst zusammen eine gute Falle machen, möchtest den anderen aber am liebsten auf den Mond schiessen. Das geht nicht. Das muss vorher raus.»
Streit ist ein reinigendes Gewitter
Dampf ablassen und dann nochmals in Ruhe miteinander reden: Das empfiehlt auch Philipp Yorck Herzberg, Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Er hat das Streiten untersucht – vor allem in Liebesbeziehungen, aber auch in anderen Partnerschaften oder unter Freunden. Er sagt: «Jeder Streit bringt Klärung – und bringt uns im besten Fall einander näher.»
Wer nicht streite, interessiere sich eigentlich gar nicht für den anderen, sagt Herzberg: «Es ist eine Illusion, dass Menschen einander diskussionslos verstehen. Wer nie Auseinandersetzungen hat, kehrt entweder alles unter den Teppich oder passt sich dem anderen an. Beides ist falsch verstandene Harmonie.»
Herzbergs Untersuchungen zeigen, dass häufig gestritten wird, wenn Menschen viel Zeit miteinander verbringen und es wenig Hierarchien gibt: in Liebesbeziehungen, Partnerschaften, in der Familie und unter Freunden. Streiten ist im besten Fall eine Begegnung auf Augenhöhe.
Gutes Streiten will gelernt sein
Gutes Streiten macht Beziehungen belastbarer. Davon ist der Psychologe überzeugt: «Wenn mich mein Gegenüber auch in der Auseinandersetzung aushält, ist der Boden tragfähig. Und wenn's einem mal den Hut lupft, geht die Welt nicht unter.»
Ganz wichtig sei dabei Authentizität. Sie sei einfacher zu erreichen, wenn man ehrlich sei – zu sich und zum anderen. Das beuge Ressentiments vor und verhindere destruktives Streiten, bei dem man den anderen vor allem verletzen wolle, meint Herzberg.
Paare mit guter Streitkultur könnten das. «Manche haben das fast schon ritualisiert», beobachtet der Psychologe. «Der eine sagt vielleicht: ‹Du, das klingt jetzt womöglich kleinlich, aber mich nervt das einfach.› Dann ist es raus und die andere gibt zurück. Es geht hin und her, und irgendwann ist gut. Beide müssen lachen oder machen eine Flasche Wein auf. Und reden nochmals darüber.»
Nachbereiten sei wichtig – und das Timing: Man sollte den Wutanfall nicht gerade dann haben, wenn gleich Gäste kommen, oder bevor einer das Haus verlässt.
Dank Psychohygiene die Kurve gekriegt
Dass das nicht einfach ist, wissen auch Sven Rufer und Thileeban Thanapalan. Besonders, wenn es nicht gut läuft mit der Firma, der Druck steigt und das Geld fehlt. So wie damals im nasskalten Februar 2017, als sie fast aufgeben wollten.
Wie konnten sie das verhindern? «Psychohygiene, Psychohygiene, Psychohygiene», meint Thanapalan und lacht. «Wir hatten unsere ritualisierten Runden durchs Quartier und haben viel geredet. Und beschlossen, es nochmals zu versuchen. Es ging ja gar nicht anders.»
Streitforscher Herzberg hätte seine helle Freude an den beiden Unternehmern: Auf den Ausbruch folgen die Aussprache und eine gemeinsam getroffene Entscheidung. So geht gut streiten.
Die Streit-Formel
Gemeinsam eine Krise zu meistern, verbindet. Aber man kann auch zu viel reden: Wer nur noch über die immer gleichen Sachen streitet, sollte über die Bücher.
Für Psychologe Philipp Yorck Herzberg gilt die Faustregel 5 zu 1: «Auf jede Konfliktsituation sollten mindestens fünf positive Begegnungen kommen.» Sonst ermüde man, fange an, sich innerlich zu distanzieren. Und irgendwann merke man, dass etwas grundsätzlich nicht stimmt.
«Ich bin Indien, der andere ist Afrika»
Das haben auch die beiden Jungunternehmer erlebt. Wobei es nicht Konflikte sein müssen, die Distanz schaffen, sagt Thanapalan: «Man entwickelt sich über die Jahre. Vielleicht ändern sich die Lebensumstände. Man bewegt sich auseinander – langsam, aber stetig, wie Kontinentalplatten. Und irgendwann bin ich Indien und der andere ist Afrika.»
Rufer und Thanapalan haben sich auseinandergelebt. Aber nicht, als sie mit der Firma in der tiefsten Krise steckten. Erst vor kurzem, als sie merkten, dass ihre Interessen auseinanderdrifteten.
Getrennt zusammen
Thanapalan ist kürzlich aus dem operativen Geschäft der «Filmerei» ausgestiegen. Er hat sein zweites unternehmerisches Standbein «currybag», ein Curry-Delivery, zum Hauptgeschäft gemacht. Und er hat mit seiner Frau zwei Kinder bekommen.
Rufer filmt weiter, heute vor allem Dokumentarfilme. Dennoch bleiben er und Thanapalan verbunden: Das Curry-Delivery befindet sich im gleichen Gebäude wie die «Filmerei». Die beiden reden immer noch viel, auch wenn sie nur noch selten um die Häuser ziehen. Auch der Töggelikasten steht nicht mehr im Büro.
Sie seien erwachsener, sagt Rufer: «Alles ist ruhiger, vernünftiger». Auch finanziell sieht es – abgesehen von der pandemiebedingten Krise – wieder besser aus.
Test für die Freundschaft
Die Sturm-und-Drang-Jahre möchten beide nicht missen. Dass sie die Firma durch das schwierige Jahr 2017 gebracht haben, hat sie zusammengeschweisst. Das sei entscheidend gewesen, sagt Rufer. «Wenn du nicht gemeinsam durch die Krise kommst, ist es aus. Wenn du das Geschäft verkackst und dann aufgibst, ist es auch mit der Freundschaft vorbei.»
Vielleicht ist das der Grund, warum viele Leute Vorbehalte haben, Geschäft und Freundschaft zu verbinden: Sie fürchten, dass das Business die Freundschaft zerrüttet. Sven Rufer sieht es anders: «Wann, wenn nicht dann, zeigt sich, was die Freundschaft taugt?»