SRF: Sie haben mitverfolgt, wie der österreichische Wahlkampf im Netz stattfand. Hat Sie der Ausgang der gestrigen Wahlen überrascht?
Ingrid Brodnig: Der spektakuläre Sieg der Konservativen zeichnete sich ab – in den Umfragen und in den Digital-Statistiken. Im Netz haben wir ein Dreier-Rennen beobachtet: Zwischen den Konservativen um Sebastian Kurz, den Rechtspopulisten der FPÖ und den Sozialdemokraten.
TNeu war, wie stark die Parteien auf die digitalen Medien setzten. Es fand online eine richtige Materialschlacht statt, gerade zu Ende des Wahlkampfes.
An den Tausenden Interaktionen und Likes der Politiker lässt sich ablesen, wie wichtig die digitale Sphäre geworden ist, um sich die Stimmen des eigenen Lagers zu sichern.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den digitalen Aktivitäten der einzelnen Parteien und dem Ergebnis der Wahl?
Ja. Gerade die Gewinner der Wahl, die Konservativen, haben es sehr gut verstanden, ihre Wähler online zu mobilisieren. Sie haben sehr netzaffin agiert – und eine Professionalisierung des digitalen Wahlkampfs gezeigt, die wir bis anhin nicht kannten.
Ein Beispiel sind sogenannte «A/B-Tests», die auf Facebook durchgeführt wurden. Man schaltet etwa bei einem kleinen Teil der Wählerschaft einen Post mit einem ernsten Foto des Kandidaten, bei einem anderen Teil einen mit einem lächelnden Bild. Nach einigen Stunden weiss die Software, welche Variante besser funktioniert. Diesen Post schickt man dann an die breite Masse.
Auf Facebook wurden verschiedene Posts getestet – und der bessere an die breite Masse geschickt.
Solche technologischen Verfahren sind in den USA schon lange verbreitet. In Österreich sind sie ein neues Phänomen.
Bei Wahlkampf im Netz denke ich zuerst an Facebook und Twitter. Inwiefern gab es auch andere Formen digitaler Wahlwerbung?
Das Wahlkampf-Team von Sebastian Kurz hat etwa eine App entwickelt. Man kann sich diese im Prinzip wie eine Fitness-Apps vorstellen, die einen daran erinnert, dass man noch laufen gehen soll.
Die Anhänger von Kurz konnte sich in dieser App Ziele setzen: Etwa, jeden Tag einen Facebook-Posts für den Kandidaten zu schreiben oder jemanden aus der Bekanntschaft anzurufen. Diese Art der Online- und Offline-Mobilisierung war letztendlich ein Grund für den Erfolg.
Es braucht Ressourcen, um einen strategischen digitalen Wahlkampf zu führen, sowohl personell als auch finanziell. Können da kleinere Parteien überhaupt mithalten?
Wir haben online, wie bereits erwähnt, ein Rennen der drei grossen Parteien beobachtet. Die anderen Parteien kamen kaum vor. Denn das Netz ist ein «The Winner takes it all»-System: In den sozialen Netzwerken ziehen nur einige wenige Accounts, diese haben dafür eine enorme Reichweite.
Dabei stellt sich für mich die Frage: Haben die drei grossen Parteien auch deshalb den Wahlkampf dominiert, weil von ihnen jeweils sechsstellige Beträge in die Werbung auf Facebook, Google und Co. geflossen sind?
Haben die grossen Parteien den Wahlkampf dominiert, weil von ihnen grosse Beträge in die Online-Werbung geflossen sind?
Werden Wahlkämpfe in Zukunft immer stärker von solcher Werbung im Netz entschieden?
Was wir in Österreich erleben, ist ein Vorgeschmack für etwas, das generell immer mehr kommen wird. Kein Kandidat ist nur erfolgreich, weil er das Internet nutzt – aber das Internet kann gewisse Themen verschärfen. Facebook etwa ist im Wahlkampf bestens dafür geeignet, Informationen zu verbreiten, die zum Weltbild der eigenen Wählerschaft passen.
Anderseits können so die Parteien selbst Themen in der öffentlichen Debatte setzen – und die lästige Schranke der Journalisten umgehen. Bundeskanzler Christian Kern hat zum Beispiel einige Statements auf Facebook verfasst, die man am nächsten Tag in der Zeitung lesen konnte.
Hier zeigt sich ein verändertes Machtgefüge: Früher hat ein Politiker gehofft, dass seine Aussage in die Zeitung kommt. Heute suchen die Journalisten auf Facebook nach Geschichten.
Früher hofften Politiker, dass ihre Aussage in die Zeitung kommt. Heute suchen Journalisten auf Facebook nach Geschichten.
Was sind denn die Gefahren von Wahlkampf im Netz?
Es kommt zum Beispiel zu «Dirty Campaigning» – also zu Schmutzkübel-Attacken im Netz. Einer der grössten Aufreger überhaupt in der Wahl: Ein Berater der SPÖ hatte zwei anonyme Seiten auf Facebook erstellt, die den Konservativen Sebastian Kurz attackierten. Eine dieser Seiten gab sich als rechtslastig aus und und griff Kurz mit rassistischen Inhalten an. Als aufflog, dass ausgerechnet die Sozialdemokraten dahinter stecken, war der Eklat perfekt.
Solches «Dirty Campaigning» hat zu einer immensen Verhärtung des Tons geführt. In letzter Zeit wurde fast nur noch darüber gesprochen, wie gehässig der Wahlkampf ist – und kaum mehr über Inhalte.
Das Gespräch führte Mirja Gabathuler.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Screenshot, 16.10.17, 17.40 Uhr