SRF: Firmen wie Facebook, Instagram und andere nutzen unsere sozialen Daten wie Likes, Interesse an Themen oder Orte, an denen wir waren, um uns spezifische Werbeinhalte zu zeigen. Wie gefährlich ist es, wenn diese Daten genutzt werden, um politische Botschaften zu platzieren?
Dr. Nick Anstead: Es ist nicht neu, dass bestimmte Zielgruppen spezifische Botschaften erhalten. Im Wahlkampf werden bestimmte Wähler intensiver angesprochen als andere. Denken Sie an die Wahlkämpfer, die von Haustür zu Haustür ziehen. In den USA ist es sehr beliebt, Wahl-Post an bestimmte Menschen zu schicken. Das ist zielgruppenorientierte Kommunikation.
Politisches digitales Targeting ist nicht komplett neu, sondern nur eine Weiterentwicklung. Die Information, die wir in sozialen Netzwerken über uns hinterlassen, wird benutzt, um uns zielgruppengenau anzusprechen. Das gilt für viele Formen der Werbung – auch für politische Werbung.
Aber der Wahlkampf ist viel digitaler geworden. Einverstanden?
Wir wissen, dass bei den Kampagnen heutzutage mehr Geld für den digitalen Wahlkampf bezahlt wird. Aber man darf das nicht überschätzen. Der herkömmliche Wahlkampf bleibt ebenso wichtig wie der digitale. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.
Gibt es Studien, die zeigen, dass sich die politische Meinung von Menschen ändert durch digitalen politischen Wahlkampf, also durch spezifisches Targeting?
Es gibt keinen Beweis, dass Menschen dadurch manipuliert werden. Es gibt Hinweise auf einen Verstärkungseffekt. Leute, die bereits an etwas glauben, können darin noch bestärkt werden. Es gibt keine Belege dafür, dass Menschen ihre Meinung fundamental ändern.
Wie sieht es mit Wechselwählern aus?
Wenn sie offensichtlich Wechselwähler sind, dann werden sie höchstwahrscheinlich von mehreren politischen Seiten anvisiert. Natürlich nur, wenn es im Interesse der Parteien liegt, Wechselwähler zu erreichen.
Hat politisches Targeting zum Brexit oder zur Wahl von Donald Trump geführt?
Nein. Wenn das Targeting irgendeinen Effekt hatte, dann ist der untergegangen in der Komplexität unserer gegenwärtigen politischen Kultur. Wir leben sicherlich in einer Phase instabiler Politik. Vielleicht spielen soziale Medien eine gewisse Rolle darin, aber eben nur eine gewisse.
Es gab eine Firma, die behauptete, sie hätte die US-amerikanischen Wahlen durch politisches Targeting so beeinflusst, dass Donald Trump gewählt wurde.
Nach jeder US-Wahl gibt es eine Agentur, die für sich in Anspruch nimmt, für die Siegerpartei die entscheidende Rolle gespielt zu haben. Ich bin sehr skeptisch, dass solche Aussagen wirklich stimmen. Es ist ein komplexes Spielfeld von historischen und ökonomischen Grundmustern, das eine Wahl bestimmt.
Bei solch vorschnellen Erklärungen müssen wir aufpassen. Für die Medien und Politiker ist es eine einfache und schnelle Antwort auf viel tieferliegende Gründe. Aber man darf die Ursache nicht durch Fake-News und politisches Targeting begründen.
Es braucht also mehr Transparenz für den Wähler, damit er weiss, welche Methoden im Wahlkampf angewendet werden.
Stimmt, es ist wichtig für jeden einzelnen Wähler zu wissen, dass sie im Netz von den Parteien ins Visier genommen werden. Das sollte die öffentliche Debatte über diese Kommunikationskanäle ankurbeln.
Jeder sollte wissen, warum er ins Visier genommen wurde und warum er gerade aus dem Raster fällt.
Und die Wahlversprechungen, die individualisiert gemacht werden, sollten im Nachhinein überprüft werden können. Dafür wäre es schön, wenn die Firmen der sozialen Netzwerke ihre Daten zur Verfügung stellen, denn politisches Targeting ist eine öffentliche und keine private Angelegenheit.
Das Gespräch führte Christian Seewald.