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20 Jahre neue Rechtschreibung Als die Gämse die Gemüter erhitzte

Am 1. August 1998 trat die neue deutsche Rechtschreibung in Kraft. Die Reform wirbelte durch die Wörterbücher, sorgte für rote Köpfe – und stellte ein scheues Tier ins Schweinwerferlicht.

Die Gämse wurde vor 20 Jahren zum Symbol für die deutsche Rechtschreibreform. Bis dahin begegnete man dem scheuen Tier nur in den Alpen. Danach war es plötzlich überall präsent.

Die «Gämse», die nach neuer Rechtschreibung die «Gemse» ersetzte, war das Beispiel für Sinn und Unsinn der neuen Regelung. Logisch, sagten die Befürworter der Reform: Gämse kommt von Gams, also ist es einfacher, wenn das Tier mit «ä» geschrieben wird. Quatsch, sagte mein Germanistikprofessor: Das Wort wird so selten geschrieben, dass es keine Rolle spielt, wie man es schreibt.

Wenig Wille zum Umlernen

Die Widerstände damals waren enorm. Lehrerverbände wehrten sich gegen die neuen Regeln, namhafte Schriftsteller und mächtige Zeitungsverlage forderten die Rückkehr zur alten Rechtschreibung.

«Der Widerstand kam von jenen, die umlernen mussten. Denn umlernen ist mühsam», sagt die Pädagogin Afra Sturm: «Für jene, die neu lernen müssen, ist durch die Reform einiges einfacher geworden.»

Afra Sturm

Professorin für Pädagogik

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Afra Sturm ist Professorin für Pädagogik an der Fachhochschule Nordwestschweiz und ist Co-Leiterin des dortigen Zentrums Lesen, Medien, Schrift. Sie erforscht, wie Kinder und Erwachsene lesen und schreiben lernen.

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Einfacher sollte es werden, das war das erklärte Ziel der Rechtschreibreform. Doch keine Reform kann die Komplexität der Sprache wegzaubern.

Mehr Freiheit – zu viel?

Dass man korrekt schreiben kann, sei auch wichtig für das Lesen, sagt Afra Sturm: «Es ist wichtig, dass die Wortschreibung beherrscht wird. Sie erleichtert das Lesen. Ich verstehe einen Text besser, wenn ich ihn nicht mühsam entziffern muss.»

Besonderheiten hingegen seien für den alltäglichen Gebraucht nicht so relevant: «Ob man ein Wort getrennt oder zusammen schreibt, fällt nur den Spezialistinnen und Spezialisten auf.»

Was war neu?

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  • Am 1. Juli 1996 beschlossen Deutschland, Österreich und die Schweiz eine neue Rechtschreibung.
  • Am 1. August 1998 trat sie in Kraft.
  • 2004 und 2006 wurden die neuen Regeln noch einmal angepasst.

Die Reform ist ein riesiges Regelwerk. Hier ein paar (vereinfachte) Beispiele:

  • Rad fahren statt radfahren: Es wird mehr grossgeschrieben.
  • irgendetwas statt irgend etwas: Es wird mehr zusammengeschreiben.
  • Schifffahrt statt Schiffahrt: Treffen mehrere gleiche Buchstaben aufeinander, wird nicht gekürzt
  • Gämse statt Gemse: Aus einem kurzen e wird ein ä, wenn die Grundform (hier: Gams) ein a enthält.
  • Föhn statt Fön: Viele Ausnahmen werden abgeschafft.
  • Phantasie und Fantasie: Mehr Wahlfreiheit bei der Schreibweise gibt es etwa bei ph/f, Fremdwörtern, Bindestrichen oder Kommas.

Ob es durch die Reform einfacher geworden ist, fehlerfrei zu schreiben, ist nach wie vor umstritten. Gegner der Reform kritisieren heute vor allem, dass die Regelung zu lasch sei.

Viele Varianten sind erlaubt, auch wer im Duden Rat sucht, bekommt oft mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Diese Freiheit führe zu Verwirrung, so die Kritiker.

Doch Afra Sturm sieht darin einen Vorteil: «Ein Beispiel ist das Binnen-I, das nach früherer Rechtschreibung verboten war. Die neue Regelungen sagt dazu nichts. Es ist also etwa erlaubt, ‹HörerInnen› zu schreiben.» Man tue gut daran, nicht alles zu regeln: «Die Schreibenden erhalten die Freiheit, so zu schreiben, wie sie gerne wollen.»

Schritt für Schritt verändert

So kann sich die Sprache sukzessive weiterentwickeln, ganz ohne Reform. Welche Änderungen in den Duden wandern, darüber entscheidet laufend der Rechtschreibrat. Die kleinen Änderungen werden anschliessend in den Wörterbüchern angepasst.

Der Gämse ist das egal. Sie hat sich nach der jahrelangen Präsenz in Seminarräumen und Zeitungskommentaren wieder in ihren ursprünglichen Lebensraum zurückgezogen: Man findet sie heute vor allem in den Alpen. Ob als Gämse oder Gämsi, als Gemsi, Gämschi, Gemschi, Gemsche, Gamstier oder Gams.

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