Noch immer fehlt der schlüssige Beweis. Hat der chinesische Forscher He Jiankui tatsächlich die Gene von zwei Babys manipuliert oder nicht?
Zehn Tage nachdem Hes Präsentation für Schlagzeilen sorgte, mag daran niemand mehr so richtig zweifeln. Die Daten, die er in Hongkong vorgestellt hat, scheinen es jedenfalls zu belegen.
Experiment – nicht Therapie
Entwicklungsbiologin Maria Jasin war im Publikum, als He seine Arbeit präsentierte. Sie hält das Experiment für deutlich verfrüht: «Ich glaube, dass dieses Experiment nicht genügend überdacht wurde. Und ich sage bewusst, dass es ein Experiment war, denn eine therapeutische Behandlung ist es nicht.»
Jasin arbeitet am Memorial-Sloan-Kettering-Krebszentrum in New York. So wie He gehe kein ernsthafter Forscher vor, sagt sie. «In der klinischen Wissenschaft arbeiten wir nicht so. Bevor man etwas am Menschen ausprobiert, braucht es mehr Daten.»
Entscheidungen gefordert
Hes Versuche polarisieren Wissenschaftler weltweit. Es brauche dringend staatliche Regulierungen, sagen einige – unter anderem der Schweizer Molekularbiologe Dieter Egli, der an der Columbia Universität in New York forscht: «Die Regierungen müssen Entscheidungen treffen. Es ist sehr wichtig, dass man damit jetzt beginnt und es nicht weiter hinausschiebt.»
Ansonsten geschehe genau, was jetzt in China passiert ist. «Es gibt Leute, die denken: Ich habe es begriffen und kenne Vorteil und Risiko. Jetzt gehe ich mal voran.»
Hilfe oder Schaden?
Wie es den beiden genmanipulierten Zwillingsmädchen geht, ist nicht klar. Man könne nur spekulieren, sagt Egli.
Die Zwillinge seien offenbar gesund und das Genom scheine intakt, aber: «Man kann es auf zwei Arten sehen. Es kann eine Art Therapie sein, um die Infektion mit HIV zu verhindern. Es kann aber auch eine Manipulation sein, die eine genetische Krankheit erst auslöst.»
Es könnte beispielsweise sein, dass die beiden Mädchen anfälliger für Grippeviren oder das West-Nil-Virus seien. «Es ist nicht klar, ob diesen Kindern geholfen oder sogar geschadet wird.»
Die natürliche Mutation...
Zudem sei erst mit der Zeit klar geworden, was He mit den Genen der Mädchen überhaupt gemacht haben könnte. «Die Mutationen, die eingefügt wurden, existieren bei heute lebenden Menschen nicht.»
Genmutationen hingegen kommen bei heute lebenden Menschen vor. Es gibt beispielsweise die bekannte natürliche Delta-32-Mutation auf dem Gen CCR5, bei der 32 Basenpaare in der DNA fehlen. Sie lässt ihre Träger gegen HIV immun werden.
Eine von zehn Personen in Europa trägt diese schon in sich. Mit dieser Mutation lässt sich aber ein normales Leben führen. Sie ist also gewissermassen bereits biologisch getestet.
... und ihre unnatürliche Schwester
Das gleiche Gen – also CCR5 – habe auch der chinesische Forscher He verändert. Allerdings auf eine andere Art. Die Daten, die He Jiankui präsentiert hat, zeigen, dass das eine Mädchen 15 gelöschte Basenpare auf dem einen Gen und ein unverändertes, intaktes CCR5-Gen auf der anderen Genkopie hat.
Das andere Mädchen hat auf seinen beiden Genkopien unterschiedliche Mutationen: vier gelöschte Basenpaare auf der einen und ein zusätzlich eingefügtes Basenpaar auf der anderen.
Ein genetisches Durcheinander
Gene zu verändern, die nicht schon bei lebenden Menschen vorkommen, sei gefährlich, sagt Egli. «Neue Mutationen einzuführen heisst, dass man nicht genau wissen kann, was die Folgen davon sind.»
Ob die Daten von He überhaupt stimmen, konnte bisher noch niemand überprüfen. Sollten sie korrekt sein, wäre damit klar: He hat genetisch gesehen ein ziemliches Durcheinander angerichtet.
Die Mädchen werden ihr Leben lang eine genetische Markierung tragen und sie werden sie an ihre Nachfahren weitergeben. «Aufgrund von dieser Modifikation kann man bei ihnen sagen: Da ist ein Eingriff gemacht worden. Wir müssen uns fragen, ob wir das wollen», so Egli.
Forscher wollen die Gen-Therapie – aber noch nicht jetzt
Auch Maria Jasin hat starke Zweifel, ob es richtig sei, neue, unbekannte Mutationen einzuführen. «Ist es okay, neue Mutationen zu erstellen, oder sollten wir eher neue bereits existierende Mutationen rekonstruieren?», fragt sie.
Geht es nach dem Willen der Forscher, sollen Gen-Therapien aber einst in der Medizin angewendet werden. Hilfreich wäre sie für Menschen, die eine Erbkrankheit haben, wie zum Beispiel Cystische Fibrose oder die Huntington Krankheit.
Ihnen würden solche Therapien erlauben, gesunde, eigene Kinder zu haben. «Es wird eines Tages eingesetzt werden, denn damit können tragische Krankheiten verhindert werden. Am Anfang wird es aber noch stark eingegrenzt sein», sagt Jasin.
Die Makel von Crispr
Auch Dieter Egli sieht das ähnlich: «Die Frage ist, wozu soll man es anwenden? Was sind die Risiken, wo ist es nützlich und wo ist es nicht nötig?» Zu Beginn werde Gentherapie wohl nur bei Krankheiten eingesetzt werden, bei denen es bisher keine Therapie gab.
Im Moment scheitern solche Therapien aber vor allem noch an der Präzision. Bevor erste klinische Versuche bewilligt werden dürften, muss die verwendete Methode Crispr noch genauer werden. Es muss klar sein, dass Mutationen wirklich nur an der gewünschten Stelle und wie geplant entstehen.