Neue Daten widerlegen eine schon länger wacklige Theorie: Die Evolution des Homo Sapiens ist kein gradliniger Stammbaum. Sie gleicht eher einem wilden Gebüsch. Das legt die Studie einer Forschergruppe um die Archäologin Eleanor Scerri nahe, die heute in der Fachzeitschrift «Trends in Ecology & Evolution» erscheint.
Der Kontinent glich dem heutigen
Dieses verzweigte Gebüsch namens Menschheitsgeschichte untersuchten die Forschenden bis etwa 300'000 Jahre zurück. Auf dem afrikanischen Kontinent sah es damals wohl gar nicht so anders aus als heute.
«Es gab höchst wahrscheinlich Gegenden mit dichtem Regenwald und die Saharawüste», sagt die Archäologin Eleanor Scerri. Die Sahara breitete sich über die Jahrhunderte mal mehr, mal weniger weit aus. Je nachdem, wie feucht das Klima gerade ausfiel.
Die ersten Menschen der Gattung Homo zogen als Jäger auf dem afrikanischen Kontinent umher und jagten beispielsweise Buschböcke – eine frühe Art von Antilopen, die vor mehreren Millionen Jahren lebte. Je nach Region jagten die frühen Menschen aber verschiedene Unterarten dieser Buschböcke.
Natürliche Barrieren
Eleonor Scerri hat DNA-Analysen von heute lebenden Buschbock-Tieren mit den Klimadaten aus jenem frühen Zeitalter kombiniert und herausgefunden: Die verschiedenen Unterarten des Buschbocks entwickelten sich in klimatisch verschiedenen Regionen des afrikanischen Kontinents.
Die Buschböcke verbreiteten sich über die Jahrhunderte hinweg in jene Gebiete, in denen das Klima für sie angenehm war. Dichter Wald und weitläufige Wüstengegenden bildeten für die verschiedenen Gruppen eine natürliche Barriere.
Sie konnten sich gegenseitig nicht kreuzen und entwickelten sich dadurch weiter zu je eigenen Buschbock-Unterarten. Ist es möglich, dass die frühen Menschen sich ebenso verhielten?
Getrennte Gruppen, eigene Entwicklungen
Die Forschergruppe um Eleanor Scerri zieht in ihrer jüngsten Studie genau diesen Schluss: Wahrscheinlich lebten auch die Vorfahren von uns Menschen in Gruppen – verteilt über den afrikanischen Kontinent. Auch sie wurden zum Teil über lange Zeiten durch natürlich Grenzen wie Wüsten, Sümpfe oder dichten Wald voneinander getrennt.
Dieses Bild rekonstruierten die Forschenden durch die Kombination von verschiedenen Ergebnissen: Das Alter von frühzeitlichen Schädelknochen und Steinwerkzeugen, DNA-Analysen – und neu eben auch Daten aus der Klimageschichte.
Die Klimadaten machen Scerris These besonders wahrscheinlich: Die Natur scheint einzelne Gruppen unserer Vorfahren manchmal über Jahrtausende hinweg in einer Region eingeschlossen zu haben.
«Wir halten uns für etwas Besonderes»
Diese Gruppe entwickelten sich somit teils isoliert von anderen frühen Menschengruppen weiter, sagt Eleanor Scerri: «Wahrscheinlich ist diese zum Teil Jahrtausende dauernde Trennung der Grund dafür, warum wir auf dem afrikanischen Kontinent so unterschiedlich geformte Schädelknochen finden.»
Dass Tiere wie der Buschbock sich unterschiedlich entwickeln, wenn sie lange genug getrennt von anderen Gruppen leben: Das wissen Biologinnen und Anthropologen schon lange. Warum aber hat es so lange gedauert, bis dieses Wissen auch in die Erforschung der Menscheitsgeschichte eingeflossen ist?
Wir würden uns selber eben gern für etwas Besonderes halten – für etwas anderes als Tiere, sagt Eleanor Scerri.
Neue Kapitel einer alten Geschichte
Neue Methoden machen es Archäologinnen und Anthropologen heute möglich, dass sie Fossilien von Tieren und Pflanzen, aber auch sehr alte Knochenfunde und DNA-Stücke, so genau wie nie zuvor untersuchen können.
Genug Arbeit für ihr ganzes Leben bekomme sie dadurch an die Hand, sagt die Archäologin Eleanor Scerri. Sie wird weiter am Buch der Menscheitsgeschichte mitarbeiten, von dem in Zukunft wohl noch das eine oder andere Kapitel umgeschrieben wird.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 11.7.18, 17.10 Uhr