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Eine Mutter macht ein Fingerspiel mit ihrem Kleinkind.
Legende: Vorlesen, Fingerspiele oder Abzählreime: Wer mit Kleinkindern viel kommuniziert, hilft bei deren kognitiver Entwicklung. Lena Foundation

Reden ist Gold Wer viel spricht, tut seinem Kind nur Gutes

Sprache ist das wichtigste Startkapital für Kinder. Die Höhe dieses Kapitals fällt aber je nach Elternhaus verschieden aus: Wer als Baby wortkarge Eltern hatte, gerät später ins Hintertreffen. Fachleute wollen dies verhindern: Mit einem Gerät, das Wörter zählt.

Auf den ersten Blick können Säuglinge nicht viel mehr als nuckeln und schreien. Doch der Schein trügt: Im zarten Alter von null bis ungefähr vier Jahren lernt der Mensch so viel wie später nie mehr – vor allem, was Sprache betrifft.

Wer in diesem Alter viel Gesprochenes hört, hat es später einfacher, wie Studien zeigen. Er oder sie schneidet besser ab – in der Schule, im Beruf, in Intelligenztests. Denn die kognitive Entwicklung ist gekoppelt mit dem frühen Erlernen der Sprache.

Vorlesen für die kognitive Entwicklung

Eltern haben es also in der Hand. Sie können ihre Sprösslinge am besten fördern, wenn sie mit ihnen im Babyalter viel sprechen, sei es beim Füttern, Windelnwechseln oder Einkaufen.

Entscheidend ist dabei der direkte Austausch. Es nützt nichts, das Kleinkind vor den Fernseher zu setzen. Als sehr sprachfördernd hingegen gilt das gemeinsame Anschauen und Vorlesen von Kinderbüchern.

Sprachlicher Startbonus ist ungleich verteilt

So einfach diese Botschaft ist, mit der Umsetzung hapert es. Der sprachliche Startbonus ist nämlich höchst ungleich verteilt: Im Alter von drei Jahren haben Kinder in bildungsfernen Familien bis zu 30 Millionen Wörter weniger gehört als Gleichaltrige aus sozial besser gestellten Familien. Auch ihr aktiver Wortschatz ist mitunter nur halb so gross.

Wortkarge Eltern sollen mehr reden

Wie können also wortkarge Eltern dazu gebracht werden, mehr zu reden? In den USA geht man neue Wege. «Gerade Eltern, die wenig sprechen, ist oft gar nicht bewusst, dass sie so wenig reden. Wir machen daher das Gesprochene messbar, sodass es bewusster wird», sagt Stephen Hannon, der Präsident der Lena Foundation.

Die gemeinnützige Stiftung bietet in mehreren US-Bundesstaaten ein Programm für Eltern mit Kleinkindern an. Dabei kommen Geräte zum Einsatz, die Wörter zählen.

Ein Baby liegt auf dem Boden, davor hält die Mutter ein kleines Gerät in der Hand.
Legende: Viele Eltern glauben, sie reden viel. Ein Gerät zeigt, wie viel man wirklich mit seinen Kindern spricht. Lena Foundation

Geräte zählen Wörter und geben Eltern Feedback

Ein Algorithmus erkennt, wie oft Eltern und Babys miteinander sprechen. Mit dem Gerät wird eine Weste geliefert, die die Kinder anziehen. Das Baby trägt das Gerät einmal pro Woche, über drei Monate hinweg.

Die Geräte fokussieren laut Stephen Hannon nicht auf die Bedeutung des Gesprochenen. Sie erkennen Phoneme, Silben und Pausen und können so einzelne Wörter und Gesprächssequenzen erfassen – und die Daten analysieren.

Mit diesem Feedback sowie in Beratungsgesprächen mit Fachleuten können Eltern besser erkennen, wo sie sprachlich stehen und wie sie sich verbessern können.

Eltern sprechen tatsächlich mehr

Nach ersten Auswertungen der Lena-Stiftung scheint dieser Ansatz erfolgversprechend zu sein.

Die Eltern würden gesprächiger, sagt Hannon. «Sie sprechen mit ihrem Kind täglich rund 3500 Wörter zusätzlich. Die wichtigen Zwiegespräche zwischen Eltern und Babys nehmen ebenfalls zu, um 135 mal pro Tag.»

Diese Effekte gelten für die dreimonatige Dauer des Programms. Wie anhaltend sie sind, muss nun eine unabhängige Langzeitstudie noch zeigen.

Auch Schweizer Forschung interessiert

In Fachkreisen stösst der Ansatz der Lena-Stiftung auf Interesse. Nach den ersten zwei Jahren läuft das Programm in 35 US-Gemeinden mit jährlich 4000 Eltern und Babys. Bis in fünf Jahren möchte die Stiftung 100'000 Familien pro Jahr erreichen.

Auch in Australien, Grossbritannien und Neuseeland sind die Wörter zählenden Geräte im Einsatz. In der Schweiz hat man damit noch keine Erfahrung.

Für eine breite Anwendung sind die Geräte auch noch zu teuer. Eines koste um die 10'000 Dollar, sagt Sabine Stoll, Psycholinguistin an der Universität Zürich. Sie plant zur Zeit zwei Grundlagenforschungsprojekte mit den Geräten und wird so genauere Erkenntnisse zu ihrer Verwendbarkeit gewinnen.

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