Eine Viertelmillion Schweizerinnen und Schweizer fühlen sich dem Buddhismus zugehörig. Was gibt ihnen der Buddhismus, was ihnen bei anderen Religionen fehlt?
Gen Kelsang Jampel praktiziert seit 20 Jahren und ist überzeugt: Der Buddhismus ist praktisch und zeigt, wie man frei wird von Leiden.
SRF: Wie kamen Sie zum Buddhismus?
Gen Kelsang Jampel: Obwohl ich katholisch getauft wurde, war ich nie religiös. Anfang 20 hatte ich einige einschneidende Erlebnisse in meinem Leben – etwa, als mein Vater verstarb.
Plötzlich stellten sich mir existenzielle Fragen: Was ist der Sinn des Lebens? Warum müssen wir leiden? Was kommt nach dem Tod? Es war naheliegend, dass ich mich bei den Religionen umschaue, was die dazu sagen. Im Buddhismus fand ich Antworten.
Buddha legt uns verschiedene Dinge ans Herz, aber ein zentraler Punkt ist, dass wir dauerhaft frei werden von Leiden, wenn wir daran arbeiten.
Was hat Sie sonst angesprochen am Buddhismus?
Ich empfand den Buddhismus als sehr praktisch und erfahrbar. Er spricht direkt meinen Alltag an und hilft mir, ihn im Hier und Jetzt zu verändern.
Im Buddhismus lernen wir, dass unser Glück und unser Leiden hauptsächlich von unserem Geist abhängen. Indem wir verstehen, wie unser Geist funktioniert, können wir lernen, die Qualität unseres Lebens zu verbessern.
Im Buddhismus lernen wir, ein gutes Herz zu entwickeln.
Wir lernen, ein gutes Herz zu entwickeln. So kommen wir davon weg, uns ständig auf uns selbst zu konzentrieren und öffnen unseren Geist für andere Lebewesen – Mitmenschen, aber auch Tiere – und versuchen, andere glücklich zu machen.
Die wenigsten, die die Lehre von Buddha praktizieren, lassen sich zum Mönch oder zur Nonne ordinieren. Warum haben Sie mit 29 Jahren diesen Schritt getan?
Schon bevor ich angefangen habe zu praktizieren, hat mich das Absolute dieser Lebensweise fasziniert. Es fühlte sich an wie eine Sehnsucht.
Ich wollte mich diesem Weg verschreiben und mein Leben auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich den spirituellen Pfad, den Buddha lehrt. Ich habe vier Jahre gewartet, bis ich mich entschieden habe, diesen Schritt zu gehen.
Während der Ordination legten sie ein Gelübde ab. Was beinhaltete es?
Verpflichtungen wie jene, dass wir nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, keine Rauschmittel wie Alkohol oder Drogen konsumieren und keine sexuellen Handlungen haben. Wir leben also im Zölibat.
Man kann aber nicht sagen, dass wir in Askese leben. Ich esse auch gerne Schoggi.
Könnte man also buddhistischer Mönch sein und gleichzeitig sein Leben mehr oder weniger wie gehabt fortführen?
Der entscheidende Punkt, wenn man ordiniert ist, dass man ein anderes Leben möchte: Deshalb verändert sich die Lebensweise.
Unser Alltag ist sehr individuell. Wir leben nicht zurückgezogen in Klöstern, wie etwa in den östlichen Ländern. Im Nalanda-Zentrum bin ich der einzige Mönch – anfänglich habe ich noch in der Pflege gearbeitet.
Damit ich mehr Zeit für meine spirituelle Praxis habe, mache ich zum Beispiel keinen Strandurlaub mehr oder gehe nicht mehr ins Kino. Da ich im Zölibat lebe, habe ich natürlich keine Beziehung. Andere Dinge können jedoch gleich bleiben, ich gehe etwa weiterhin joggen, damit ich fit bleibe.
Wie haben Sie sich verändert, seit Sie Buddhist sind?
Ich habe durch den Buddhismus viel mehr Wertschätzung für andere. Eine unserer Hauptaufgaben als buddhistische Praktizierende ist es, mit Verblendungen wie Wut, starkem Begehren oder Neid umzugehen.
Wir verringern sie und lassen dadurch den Geist friedvoller werden. Wenn wir uns etwa am Glück anderer erfreuen, hilft das, unseren Neid zu verringern. Meditation ist eine Methode, die uns zur Quelle des Glücks in uns führt und so begehren wir weniger äussere Dinge im Leben.
Sie sagten, dass Sie früher nicht geglaubt haben. Woran glauben Sie jetzt?
Ich glaube, dass jeder von uns in sich ein Potenzial hat für grenzenlose Liebe, Mitgefühl und Weisheit. Indem wir den inneren Weg von Kontemplation und Meditation gehen, können wir völlig frei von Leiden werden. Und anderen helfen, das Gleiche zu erreichen.
Man liest viel von Buddhismus-Begeisterten, die Yoga-Kurse füllen, Atemübungen zwischen Meetings machen, mit Buddha-Statuen ihre Wohnzimmer zu Meditationsoasen umbauen. Verwässern Gelegenheits-Buddhistinnen und -Buddhisten die Lehre?
Verwässern wäre für mich eher, wenn man Buddhismus mit anderen Traditionen mischt, wenn man ein bisschen vom Christentum und vom Hinduismus dazu nimmt und ein eigenes Denken kreiert. Das führt nirgendwo hin, denn jede Religion ist in sich geschlossen.
Die Achtsamkeitsübungen, die Buddha lehrt, kommen gut an. Aber man sollte Buddhismus nicht darauf reduzieren. Sie sind ein wichtiger, aber nur ein kleiner Aspekt der Lehre.
Wenn man sich nur gelegentlich mit dem Buddhismus auseinandersetzt, löst man seine fundamentalen Probleme nicht. Das geht nur, wenn wir die Lehre in ihrer Gesamtheit praktizieren.
Aber wenn wir unser Leben durch die buddhistische Lehre verbessern können, ist das wunderbar. So soll jeder und jede sich rausnehmen, was ihm oder ihr hilft – alle sollen davon profitieren!
Das Gespräch führte Mara Schwab.