Das Trauerspiel hat Tradition: Fast jedes Jahr ist es besonders über Weihnachten extrem mild. In diesem Jahr trifft es besonders die Alpensüdseite. Am Nachmittag des 24. Dezembers stieg die Temperatur in Biasca auf 21.8 Grad, in Cevio im Maggiatal auf 20.8 Grad. Beide Stationen sind aber erst seit wenigen Jahren in Betrieb und können für einen Klimavergleich noch nicht verwendet werden. Anders die Situation in Stabio bei Chiasso. Dort wurden 18.9 Grad gemessen. So warm war es dort am 24. Dezember noch nie. Der alte Höchstwert datierte aus dem Jahre 2018 mit 16.3 Grad.
Auch an praktisch allen anderen Messstandorten im Tessin war es der wärmste 24. Dezember, so auch in Lugano, wo seit mehr als 100 Jahren gemessen wird. Neue Höchstwerte für einen 24. Dezember gab es aber auch in Südbünden, so in Poschiavo mit 15.6 Grad oder in Sta. Maria im Münstertal mit 11.8 Grad. Überdies gab es neue Rekorde für Heiligabend auch am Ofenpass und in Samedan im Oberengadin, dort mit einem Wert von 8.9 Grad.
Das Debakel hat System
Der Wetterablauf, wie wir ihn in den letzten Wochen erlebt haben, hat System. Ende November beginnt in Nordskandinavien die Polarnacht, und es bildet sich ein Kältehoch. In der Folge stösst sehr oft eisige Luft aus Norden nach Mitteleuropa vor. Entsprechend fällt bei uns Ende November oder anfangs Dezember Schnee bis in tiefe Lagen, und auch Mitte Dezember ist Schneefall bei uns nicht selten. Ein Teil der Kaltluft strömt auf den zu diesem Zeitpunkt sehr milden Atlantik. Dies sind optimale Bedingungen zur Bildung von kräftigen Tiefdruckgebieten über dem nahen Atlantik.
Sie führen bei uns meist kurz vor den Weihnachtstagen oder zu Beginn der Festtage zu einer Südwest- bis Westströmung mit einem markanten Wärmeeinbruch und Tauwetter. Man spricht daher vom sogenannten Weihnachtstauwetter. Oft liegt die Schneefallgrenze deutlich oberhalb von 1500 Metern, in diesem Jahr an Heiligabend sogar zwischen 1800 und 2300 Metern.
Trefferquote liegt bei 70 Prozent
In Deutschland trifft das grosse Tauwetter meist zwischen dem 22. und 28. Dezember ein, bei uns in der Tendenz eher etwas früher. In diesem Jahr wurde es sogar schon 10 Tage vor dem Fest mild. Dafür kehrt in der Schweiz, rein statistisch, im Laufe der Festtage häufig der Winter zurück. Schon oft setzte am Stephanstag Schneefall ein, dieses Jahr dürfte es, falls überhaupt, aber erst zum Jahreswechsel so weit sein. Rein statistisch liegt in Deutschland die Wahrscheinlichkeit bei 70 Prozent, dass es Weihnachtstauwetter gibt. In der Schweiz gab es seit 2010 kein Jahr ohne klassisches Weihnachtstauwetter.
Die Bilanz des Grauens
2010 gab es zum letzten Mal verbreitet weisse Weihnachten im Mittelland, trotz Weihnachtstauwetter. Am 17. Dezember fielen im Mittelland zum Teil 30 Zentimeter Neuschnee. Bis am 22. Dezember war aber die weisse Pracht dahin, und erst im Laufe des 24. Dezembers setzte wieder Schneefall ein. Von da an jagten sich aber weihnächtliche Wärmerekorde: 2011 wurden auf dem Pilatus +6 Grad gemessen, allerdings schon am 23. Dezember. An Heiligabend folgte dort ein Sturm mit 130 Kilometern pro Stunde. 2012 gab es an Heiligabend 20.2 Grad in Reigoldswil (BL), in St. Gallen wurden gleichzeitig 15.4 Grad verzeichnet, den lokalen Höchstwert für Heiligabend. Am 24. Dezember 2013 wurden in Basel 17.1 Grad registriert, so warm war es dort vorher an Heiligabend noch nie. Auch 2014 wurden an Heiligabend knapp 10 Grad in Basel gemessen.
Schon am 23. Dezember gab es aber in Adelboden und auf den Jurahöhen mehr als 14 Grad. 2015 war wieder Basel an der Reihe mit einem Höchstwert von 15.0 Grad. Auch 2016 wurden im Berner Oberland zweistellige Plustemperaturen registriert, und 2017 gab es vor allem auf den Bergen T-Shirt Wetter. Auf dem Pilatus wurden am 25. Dezember +7 Grad gemessen. Im Jahre 2018 gab es an Heiligabend in Basel wieder gut 13 Grad, und auch 2019 wurden in der Nordwestschweiz mehr als 11 Grad gemessen. Sonst entsprachen die Temperaturen ausnahmsweise dem langjährigen Mittel, dafür wurden im Tessin an Weihnachten mehr als 16 Grad gemessen.
2020 gab es am 22. Dezember in Basel 16.5 Grad und an Heiligabend noch gut 10 Grad, dafür schneite es am 25. Dezember bis ins Flachland. Auch 2021 wurde es erst auf Weihnachten wieder milder, dafür war es eine Woche später rekordwarm. Letztes Jahr erlebte Schaffhausen mit 11.5 Grad den zweitwärmsten 24. Dezember, und auch in der übrigen Schweiz war es sowohl an Weihnachten als vor allem zum Jahreswechsel extrem warm.
2015 und 2016: Grüne Weihnachten auch in den Alpen
Ganz dramatisch war die Lage 2015 und 2016 auf den Bergen. Damals konnte mit dem Weihnachtstauwetter gar nichts mehr schmelzen. Es war schon fast alles weg. Selbst in Hochlagen lag kaum Schnee. An Heiligabend 2015 betrugt die Gesamtschneedecke in Davos nur 2 Zentimeter, und ein Jahr später war es, wie an den meisten Orten im Alpenraum, einfach ganz grün. Da ist die Situation doch zurzeit ziemlich komfortabel mit 81 Zentimetern in Davos-Dischma und 97 Zentimetern in Arosa.
Erst zum Jahreswechsel markant kühler
Über Weihnachten und auch in der Altjahrswoche geht es noch sehr mild weiter. Sowohl an Weihnachten als auch am Donnerstag werden auf 2000 Meter Meereshöhe Temperaturen um 7 Grad gemessen, erst zum Jahreswechsel zeigen diverse Wettermodelle eine deutliche Abkühlung. Sogar Schnee bis ins Flachland ist nicht ausgeschlossen, das letzte Wort ist dazu aber noch nicht gesprochen, zumal die Atmosphäre momentan sehr dynamisch ist.