Die Gewitter- und damit auch die Hagelsaison neigt sich bereits dem Ende entgegen. Daran ändert auch die sommerliche erste Septemberhälfte nichts. Bald machen die Hagelraketen Pause und kommen im nächsten Frühjahr wieder zum Einsatz. In der Sommersaison zünden vor allem Landwirte das abwehrende Feuerwerk, um ihre Kulturen zu schützen.
Zuallererst: Wie entsteht Hagel?
Nicht jedes Gewitter führt zu Hagelschäden. Je stärker eine Gewitterzelle ist, desto eher muss man sich vor Hagel fürchten. Eine Gewitterwolke reicht weit in den Himmel hinauf; in diesen Höhen ist die Luft sehr kalt. Auch wenn im Sommer die Nullgradgrenze 4000 Meter übersteigt, darüber hat die Luft Minustemperaturen. Ein Gewitter kann nämlich über 10 Kilometer mächtig werden. Ein beträchtlicher Teil der Gewitterwolke liegt damit im Bereich der negativen Temperaturen. Im Gewitter herrschen starke Auf- und Abwinde. Wassertröpfchen können mit diesen Aufwinden in grosse Höhe verfrachtet und unterkühlt werden. Wasser unter 0 Grad muss nicht sofort gefrieren, denn zum Gefrieren braucht es noch sogenannte Kondensationskerne. Sie sind die Basis, an ihnen gefrieren die Wassertropfen fest. Kleine Eispartikel eignen sich besonders gut als Kondensationskerne. Je länger ein Eisteilchen in der Gewitterwolke herumgeschleudert wird, desto grösser wird es: Ein Hagelkorn entsteht.
Hagel ist aber nicht überall in der Gewitterwolke vorhanden. Er bildet sich bevorzugt im sogenannten Hagelturm: Eine Zone mit sehr starken Auf- und Abwinden. Oft macht ein Hagelkorn mehrere Durchgänge in den Auf- und Abwindzonen, wird grösser und grösser, bis es schliesslich zur Erde fällt. Im Querschnitt sind die verschiedenen Wachstumsschichten deutlich sichtbar, analog Baumringen.
Wo ist die Hagelgefahr am grössten?
Nicht alle Regionen der Schweiz bergen das gleiche Risiko für Hagelschäden. Hagelschlag ist auf starke Gewitter begrenzt. Diese bilden sich einerseits entlang des Juras, bevorzugt in der Nordwestschweiz. Andererseits ist der Alpennordhang und vor allem die Region Berner Oberland bis Napf und Zentralschweiz bekannt für heftige Gewitter. Südlich der Alpen trifft Hagelschlag sehr häufig das Mittel- und Südtessin.
Wie wirkt nun eine Hagelrakete?
Das Prinzip ist simpel und einfach: Die Hagelrakete bringt zusätzliche Kondensationspartikel in die Wolke. Damit verteilen sich die Wassertropfen auf viele kleine und nicht auf wenige grosse Hagelkörner. Die Hagelrakete kann den Hagel also gar nicht verhindern. Das Wirkprinzip liegt darin, dass die kleineren Hagelkörner weniger oder bestenfalls keinen Schaden anrichten. Oft werden Landwirtschaftskulturen mit Netzen geschützt. Diese können aber nur kleinerem Hagel die Stirn bieten.
Welcher Stoff wird in die Wolke geschossen?
Silberjodid hat eine fast identische Gitterstruktur wie Eis. Somit eignet sich der Stoff hervorragend als Kondensationskeim für Wassertropfen. Mit der Hagelrakete werden mehrere Milliarden dieser Silberjodidmolekülen ins Gewitter befördert. Sie erreichen eine Höhe von 1000 bis etwa 1800 Meter. Man sagt auch, die Gewitterwolke wird „geimpft“, obwohl der Vorgang mit dem medizinischen Impfen natürlich nichts gemeinsam hat. Bilder aus der Praxis sind in folgendem Einsteinbeitrag zu sehen: Einstein, 30.08.2012, 21:08 Uhr, Mit Hagelraketen gegen Gewitterwolken
Zum Teil wird das Silberjodid auch gezielt mit Flugzeugen ins Gewitter transportiert. Diese Form ist jedoch sehr kostenintensiv und entsprechend kaum verbreitet. Eine Ausnahme ist der Landkreis Rosenheim in Deutschland: Hier steigen regelmässig Hagelflieger in den Himmel.
Viele Versuche...
In der Vergangenheit gab es schon einige Hagelabwehrexperimente. Zum Beispiel in den USA: Man arbeitete in den 1940er und 1950er Jahren an der vorzeitigen Abschwächung von Hurrikanen (tropischen Wirbelstürmen), allerdings mit begrenztem Erfolg. In der Schweiz, Süddeutschland und Österreich ist die Hagelbekämpfung in regionalen Vereinen organisiert. Beispielsweise im Hagelabwehrverband Ostschweiz: Die 200 Schützen der Kantonen Thurgau und St. Gallen sind von Anfang April bis Ende Oktober im Einsatz. Dabei müssen sie sich natürlich auch mit der Flugsicherung Skyguide absprechen.
...doch der Wirkungsnachweis steht aus
Der Erfolg von Silberjodid als Kondensationspartikel ist unumstritten. Warum kommt es denn trotzdem noch zu Hagelschäden? Warum lässt sich nicht jeder Hagelschlag mit einer Hagelrakete verhindern? Das Problem ist die Komplexität einer Gewitterwolke: Silberjodid muss gezielt in den Aufwindbereich im Bereich des Hagelturmes gebracht werden. Jedes Gewitter ist einzigartig. Wir haben viel zu wenig Informationen, um das Silberjodid gezielt an die richtige Stelle zu schiessen. So entpuppt sich die Anwendung in der Praxis als sehr schwierig, als Glückssache. Zudem deckt die Rakete einen viel zu kleinen Teil des Gewitters mit Silberjodid ab. Weder die US-amerikanische Akademie der Wissenschaften, noch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), noch die ETH Zürich konnten in diversen Studien einen Beweis für die Wirksamkeit der sogenannten Wolkenimpfung liefern. Der kaum nachweisbare Effekt rechtfertig weder den hohen Aufwand noch die Kosten.
Philosophiesache
Hagelabwehr scheidet die Geister. Die regionalen Vereine schwören auf die Wirksamkeit ihrer Raketen. Mit dem Zusammenschluss mehrerer Gemeinden und gezielter Ausbildung der Schützen konnte die Kosteneffizienz immerhin gesteigert werden. Allerdings lässt sich schwer prüfen, ob ein Gewitter wegen der Hagelrakete keinen Schaden gebracht hat, oder ob es sowieso nicht zu grossen Hagelkörnern gekommen wäre. Jedes Gewitter ist ein Unikat. Zwei identische Gewitter für einen gezielten Vergleich gibt es leider nicht, und wird es wohl nie geben.
Quellen: Wikipedia, Buch „Flugwetter“ von K. H. Hack, Schweizer Vereinigung für Hagelbekämpfung, Hagelabwehrveband Ostschweiz, MeteoSchweiz und Mobiliar Versicherung, Die Zeit