Am 20. Februar 1994 sagte das Schweizer Stimmvolk Ja zur «Eidgenössischen Volksinitiative zum Schutze des Alpengebietes vor dem Transitverkehr (Alpeninitiative)». Der Artikel 84 der Schweizer Bundesverfassung - der sogenannte Alpenschutz-Artikel - verlangt seitdem, dass das Alpengebiet vor dem Transitverkehr geschützt werden muss. Der Bündner Andrea Hämmerle gehörte vor 25 Jahren zum Kernteam des Vereins «Alpen-Initiative».
SRF News: 1994 hatte die Alpeninitiative Erfolg. Aussergewöhnlich war das nicht nur, weil die Forderung radikal war, sondern auch, weil Volksinitiativen damals beim Volk kaum Chancen hatten. Warum hat es bei dieser Initiative geklappt?
Andrea Hämmerle: Es spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. Erstens war der Alpenraum für die Schweiz etwas wahnsinnig Wichtiges - auch für Leute, die nicht im Alpenraum wohnten. Ausserdem wurde der Umweltschutz immer mehr zum Thema. Und da wir ja nicht die Autos, sondern die Lastwagen regulieren wollten, waren auch Autofahrer auf unserer Seite. Zudem half die Formulierung «von Grenze zu Grenze» Leute zu mobilisieren, die national und nationalistisch orientiert waren.
Die Initiative wurde bis heute nicht umgesetzt: Es fahren noch immer mehr Lastwagen durch die Schweizer Alpen, als damals gefordert wurde. Wie sehr frustriert Sie das?
Diese Geschichte hat zwei Seiten. Man kann sagen, dass die Initiative nicht umgesetzt wurde, da anstelle der geforderten rund 600'000 Lastwagen noch knapp eine Million durch die Alpen fahren. Ich bin aber der Meinung, dass die Situation am San Bernardino und am Gotthard ohne die Alpeninitiative völlig anders aussehen würde - wahrscheinlich gäbe es zwei Millionen Lastwagen.
Der Alpenschutz-Artikel hatte enorme Auswirkungen auf die schweizerische Verkehrspolitik.
Vielleicht hätten wir auch keine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe, und wir hätten vielleicht auch die Neat nicht so finanzieren können, wie wir das gemacht haben. Der Alpenschutz-Artikel hatte enorme Auswirkungen auf die schweizerische Verkehrspolitik.
Die Alpeninitiative wurde nicht von einer Partei, sondern von Privatpersonen lanciert; die Folge war eine Art Bürgerbewegung. Lassen sich die damaligen Entwicklungen mit den aktuellen Klimastreiks in den Schweizer Städten vergleichen?
Ich glaube, es gibt Ähnlichkeiten und auch Unterschiede. Es ist eine Bewegung, es ist eine Begeisterung für ein Thema und es ist Engagement vorhanden. Das ist vergleichbar. Der Unterschied ist: Wir hatten ein konkretes Projekt und wir waren um die 40 Jahre alt und somit etwas erfahrener. Dass eine Schülerbewegung es aber schafft, eine Bundesratspartei in ihrer Klimapolitik zum Umdenken zu bewegen, das finde ich spektakulär. Ich glaube, das hätten wir nicht geschafft.
Das Gespräch führte Sara Hauschild.