Aussergewöhnliches ereignete sich am 5. Januar 1984 in Solothurn: Die gesamte Regierung und der Staatsschreiber mussten sich vor dem Richter verantworten. Der Vorwurf: die Regierung habe ein Geschenk angenommen, das sie hätte ablehnen müssen.
Beim Geschenk handelte es sich um das sogenannte «Spanien-Reisli». Zum zehnten Geburtstag des AKW Gösgen hatten sich die AKW-Betreiber etwas Besonderes einfallen lassen: Sie luden Prominenz aus Politik und Wirtschaft zu einer mehrtägigen Reise nach Madrid ein - gratis.
Privilegien-Filz war lange gang und gäbe
Die Einladung kam gut an. Mehrere Mitglieder der Zürcher Stadtregierung nahmen an der Reise teil, ein Regierungsrat des Kantons Bern, der Solothurner Bundesrat Willi Ritschard, sowie die gesamte Solothurner Regierung.
Lange Zeit waren solche Geschenke der Wirtschaft an die Politik gang und gäbe in der Schweiz. Das deutsche Magazin «Spiegel» schrieb dazu 1983: «Die Kleinräumigkeit sowie die enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft lassen in der Schweiz einen Privilegien-Filz spriessen, der andernorts die Gerichte beschäftigen würde. Doch die Öffentlichkeit erfährt nur selten davon».
Der Anfang einer neuen politischen Kultur
Der Prozess gegen die Solothurner Regierung endete mit einem Freispruch. Der Richter argumentierte, es sei nicht bewiesen, dass die vom AKW Gösgen bezahlte Spanien-Reise die Regierung in irgendeiner Weise beeinflusst habe.
Trotz des Freispruchs hatte der Fall grosse Auswirkungen auf die politische Kultur in der Schweiz. Das «Spanien-Reisli» wurde zum Symbol, zum Warnsignal für die Politiker, nicht jedes auffällige Geschenk gedankenlos anzunehmen.