Sie kennen es vielleicht: Man ist an einer Sitzung. Die anderen Teilnehmenden reden und reden. Man schweift mit den Gedanken ab. Die Zeit scheint still zu stehen. Es dauert ewig, bis die Sitzung vorbei ist. Andere Situation: Man ist mit Freunden in einem Restaurant. Man redet und redet, schaut auf die Uhr und merkt, dass schon bald der letzte Bus fährt. Die Zeit ist wie im Flug vergangen.
Diesem völlig unterschiedlichen Zeitempfinden will die Aarauerin Pia Viviani auf die Spur kommen, zusammen mit Künstlerin Anna Cholinska. Sie laden die Bevölkerung zu einem gemeinsamen Forschungsprojekt ein: «Zeitdehner versus Zeitfresser».
Die Idee dahinter: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen Situationen bewerten. Geht die Zeit dabei schnell oder langsam vorbei? Von der Situation sollen sie ein Foto machen mit einem passenden Aufkleber dazu. Das Bild und einen kurzen Text oder ein Audio schickt man bis am 30. September per Mail oder Whatsapp ein.
Auf der Website des Projekts werden die Bilder zusammengetragen. Danach können alle erneut mitmachen bei der Auswertung der Situationen, ihre persönliche Analyse zu den Bildern der Teilnehmenden abgeben.
Diese Auswertung geht danach an den Zeitforscher Dr. Marc Wittmann. Er ist Psychologe und macht sich seit Jahren Gedanken zur «gefühlten Zeit». Die Ergebnisse aus der Schweiz vergleicht der deutsche Forscher dann mit den Resultaten seiner wissenschaftlichen Forschung.
Mit dem Projekt soll überprüft werden, ob das Zeitempfinden der Teilnehmenden mit den Forschungsergebnissen der Wissenschaft übereinstimmt. Doch es gehe noch weiter, erklärt Pia Viviani von der Aarauer Firma Catta: «Alle Interessierten sollen selbst eine Analyse machen können. Dank diesen persönlichen Erlebnissen sind Aussagen möglich, die der Wissenschaftler nur mit Daten allein nicht herausfindet.»
Dies kann der Wissenschaft einerseits wichtige Zusatzinformationen bringen. Andererseits soll das Projekt für die Teilnehmenden interessanter werden: Sie sind nicht einfach nur Datenlieferanten, sondern können auch ihre Einschätzungen beitragen. Diese Art der Beteiligung wird Bürgerwissenschaft oder «Citizen Science» genannt.
Dabei brauchen die Teilnehmenden selbst aber keinen akademischen Hintergrund. Sie sollen aus ihrer persönlichen Perspektive berichten. Fotos aus dem eigenen Lebensalltag einsenden und dabei der Wissenschaft dienen: Dieses Projekt ist definitiv nicht nur dazu da, ein bisschen Zeit totzuschlagen.