Aargau Solothurn - Herbstserie: «E blöu-gröue Vöuwee» – Der Berg als Grenze

Eigentlich sind sie Nachbarn. Miteinander reden tun sie aber kaum. Denn Oberdörfer und Gänsbrunner trennt der Berg. Nur die Passstrasse oder der Eisenbahntunnel verbindet die beiden Dörfer. Wie sehr Weissenstein und Balmberg eine Grenze sind, zeigt sich nicht zuletzt an der Sprache.

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  Leben am und mit dem Berg: Welschenrohr ist eines der Solothurner Dörfer, die zwischen der ersten und zweiten Jurakette liegen.

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  Für den Verkehr ist der Berg eine fast unüberwindbare Grenze. Im Winter fährt nur die Gondelbahn auf den Weissenstein. Dann müssen die Leute «hinter dem Berg» den langen Umweg über Balsthal fahren, oder die Eisenbahn nehmen. Diese aber ist gefährdet.

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  Wenn im Winter die Passstrassen gesperrt sind, ist die Fahrt durch den Weissensteintunnel die schnellste Verbindung nach Solothurn. Doch wie lange noch bleibt der Tunnel offen? Er müsste für 170 Millionen saniert werden.

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  SRF-Reporter Marco Jaggi auf der Grenze, die den Kanton Solothurn in vorne und hinten trennt.

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Was nun? Sind die Gänsbrunner «die hinter dem Berg», wie die Oberdörfer sagen? Oder ist es umgekehrt? Daniela Mägli lacht. Sie verträgt gerade die Post im 100-Seelen-Dorf Gänsbrunnen auf der Nordseite des Weissensteins: «Das ist immer eine Frage der Einstellung. Wir hier haben das Gefühl, wir seien vor dem Berg. Und alle anderen dort im Mittelland sind für uns hinter dem Berg.»

«Wir sind halt schon ein eigenes Völklein», sagt die Pöstlerin aus Welschenrohr stolz. «Die vorne merken auch gleich an unserem Dialekt, dass wir von hinter dem Berg kommen. Wir sagen 'E blöu-gröue Vöuwee' (= ein blau-grauer VW).»

Grenzen überwinden

Die Fahrt auf den Weissenstein dauert heute Minuten. 1836 ging es länger: «Ein Pferd genügte, um uns an den Fuss des Berges zu bringen, wo zwei weitere angespannt wurden. Die Strasse, trotz ihrer Seilheit, war ganz vortrefflich. Drei Stunden braucht man in der Regel für die Fahrt hinauf ab Solothurn; rüstige Fussgänger machen es in zweieinhalb.»

Angst um den Tunnel

Der Berg als Grenze? «Im Winter auf jeden Fall», sagt Daniela Mägli. Wenn die Passstrassen über den Weissenstein und den Balmberg gesperrt sind, bleibt nur der lange Umweg durch die Klus bei Balsthal, um nach Solothurn zu kommen. Oder die Fahrt mit der Eisenbahn durch den Weissensteintunnel.

Der Tunnel ist der Garant, dass «die hinter dem Berg» das ganze Jahr hindurch in kurzer Zeit nach vorne kommen, die steil aufragende geografische Grenze überwinden können. Dass die Zukunft des Tunnels gefährdet ist, macht deshalb vielen in der Region Angst.

Der Weitblick fehlt

Gänsbrunnens Gemeindepräsidentin Rosmarie Heiniger zum Beispiel befürchtet, dass ohne Tunnel die Leute wegzügeln. «Man spürt es jetzt schon. Lange hatten wir keine leeren Wohnungen, in letzter Zeit aber schon. Wenn die Leute vor dem Berg arbeiten, lassen sie sich halt nicht hier nieder, dann suchen sie eine Wohnung, die näher liegt.»

Als Grenze will Rosmarie Heiniger den Berg nicht bezeichnen. Und doch sagt sie, die nicht von hier ist: «Der Berg versperrt mir die Sicht ins Mittelland. Zwischendurch muss ich den Weitblick haben. Dann muss ich vor den Berg.» Was jetzt? Vor oder hinter den Berg? Eine Frage des Standpunkts.

Literatur:

- Paul Ludwig Feser: Reisen im schönen alten Solothurnerland