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Aargau Solothurn Polizei-Prozess im Aargau: Mit Kanonen auf einen Spatz?

Seit Jahren ermitteln Staatsanwälte und Sonderstaatsanwälte, jetzt läuft der Prozess: Vor dem Bezirksgericht in Bremgarten müssen sich drei Aargauer Polizeibeamte verantworten. Ein Einsatz der Sondereinheit Argus sei völlig aus dem Ruder gelaufen, so die Anklage. Die Verteidigung wehrt sich.

Es geht um einen Einsatz im Jahr 2009 im aargauischen Wohlen: Damals randalierte ein Mann in seiner Wohnung. Er war betrunken und mit einem Küchenmesser bewaffnet. Seine Frau hatte aus einer Nachbarwohnung die Polizei alarmiert, diese rückte wegen Verdachts auf «häusliche Gewalt» aus.

Schon das sei falsch gewesen, erklärte der zuständige Sonderstaatsanwalt am Donnerstagmorgen vor Gericht. Die Frau habe die Polizei nicht deshalb alarmiert, weil sie bedroht worden sei, sondern aus Angst, dass ihr Mann sich selber etwas antun könnte.

Polizisten schweigen

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Zeichnung Szene im Gerichtssaaal der Gerichtszeichnerin
Legende: Erika Bardakci-Egli/SRF

Die angeklagten Polizeibeamten haben am Donnerstag Aussagen zur Anklage verweigert. Eine Art Statement gaben sie trotzdem ab: Sie erschienen in Uniform und mit Dienstwaffe am Prozess. Sie seien im Dienst und müssten im Notfall ausrücken können, so ihre Begründung.

Tatsächlich endete der Polizeieinsatz in einem Drama: Ein Beamter der Aargauer Sondereinheit schoss zwei Mal auf den Mann und verletzte diesen schwer. Das Opfer war anschliessend arbeitsunfähig.

Anklage: Fehlverhalten auf der ganzen Linie

Wie kam es dazu? Die Anklage vermutet, dass die Polizei die Lage komplett falsch eingeschätzt habe. Während des Funkverkehrs sei aus dem betrunkenen, aber harmlosen Mann plötzlich ein gefährlicher Täter geworden, so die Anklage. Sie kritisiert, dass sich die Polizei nie richtig über den Sachverhalt informiert habe. Man habe weder mit dem Mann noch mit seiner Frau gesprochen.

Kritisiert wird auch der verantwortliche Einsatzleiter: Er hatte die Sondereinheit der Kantonspolizei aufgeboten. Der Anwalt des Opfers erklärte vor Gericht, der Einsatzleiter habe «unbedingt» die Sondereinheit auf dem Platz haben wollen. Um diesen Einsatz auszulösen, habe er die Situation viel zu dramatisch dargestellt, er habe sogar gelogen. Zur Illustration seiner Vorwürfe spielte der Anwalt vor Gericht Aufnahmen der Funksprüche ab.

Schliesslich stürmten an diesem Tag im Jahr 2009 sechs Polizisten die Wohnung. Und auch dann - so die Anklage vor dem Bezirksgericht - sei wieder viel schief gelaufen: Die Polizisten hätten sich selber zu wenig geschützt, keine Schutzschilder mitgenommen und auch deshalb viel zu schnell auf den Mann geschossen.

Kurz: Die Anklage spricht von einem «Schuss mit Kanonen auf Spatzen», der Einsatz sei völlig aus dem Ruder gelaufen. Sie verlangt bedingte Geldstrafen für alle drei angeklagten Polizeibeamten.

Die martialische Polizeimaschinerie (...) konnte nicht mehr gestoppt werden.
Autor: Staatsanwalt

Die zentrale Frage vor Gericht war auch: Wie gefährlich war das Opfer wirklich? Die Anklage zeichnete einen liebenswerten Menschen, der nur ab und zu dem Alkohol zugesprochen habe. Aus diesem Grund sei es zum Zwischenfall im Mai 2009 gekommen. Und dieser harmlosen Person sei plötzlich ein riesiges Aufgebot von Polizisten gegenübergestanden. «Die martialische Polizeimaschinerie war in Betrieb und konnte nicht mehr gestoppt werden», sagte der Staatsanwalt.

Verteidigung: Polizei wollte Gefahr verhindern

So hart die Kritik von ihm an der Polizei, so hart die Replik des Verteidigers des Einsatzleiters. Dieser hielt vor dem Mittag sein Plädoyer. Er warf der Anklage vor, sie verdrehe die Fakten und unterschlage wichtige Informationen.

In den Augen des Verteidigers war der Randalierer ein höchst gefährlicher Mann. Alle Aussagen würden darauf hindeuten, dass der Mann komplett ausgerastet sei und nicht mehr gewusst habe, was er tue.

Genau deshalb habe die Polizei möglichst schnell gehandelt, ja handeln müssen. Hätte sie das nicht getan, hätten Dritte zu Schaden kommen können. So habe die Gefahr bestanden, dass der Mann in der Wohnung Feuer legen würde. Und dadurch wären alle Bewohner des Hauses gefährdet gewesen.

«Der Einsatzleiter musste handeln. Nur so konnte er den Mann vor sich selber schützen und Dritte vor ihm», so der Verteidiger. Der Einsatzleiter habe mit dem Befehl zum Aufgebot der Eliteeinheit Argus völlig richtig gehandelt, führte der Verteidiger aus. In solchen Situationen müsse einem Täter gezeigt werden, dass er keine Chance habe. Normale Polizisten könnten das nicht. Und auch der Einsatz von Vermittlern bringe in dieser Situation nichts.

Wir müssen rein. Wir können keinen Gugus machen.
Autor: Funkspruch der Polizei

«Wir müssen rein, wir können keinen Gugus machen» – diesen Funkspruch des Einsatzleiters hatte die Aklage als Beleg dafür genommen, dass der Einsatzleiter überstürzt gehandelt habe. Die Verteidigung nimmt den Ausspruch für genau das Gegenteil, nämlich dafür, dass der Einsatzleiter genau wusste, was er tat, als er die Einheit Argus einsetzte.

Der Verteidiger forderte für seinen Mandanten nicht nur einen völligen Freispruch, sondern auch noch die Bezahlung einer Genugtuungssumme. Dieser Forderung schlossen sich auch die Verteidiger des Argus-Gruppenleiters und des Polizisten an, der zweimal geschossen hatte. Auch ihre Mandanten hätten alles richtig gemacht, vorbildlich sogar, argumentierten die Anwälte.

Langer Weg zum Prozess

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Der Fall liegt bereits Jahre zurück. Die Behörden taten sich zuerst schwer mit der Kritik am Einsatz. Dann wurden die Strafverfolgungsbehörden im Aargau neu organisiert. 2013 setzte die Regierung einen ausserordentlichen Staatsanwalt zur Untersuchung ein. Dieser verstarb aber - ein neuer Ankläger musste gefunden werden.

Urteile am Freitag

Die Argus-Leute seien in der richtigen Reihenfolge in die Wohnung eingedrungen. Es sei immer so, dass ein Mann mit Pistole vorausgehe. Und den Einsatz von Schutzschildern habe man in der Gruppe diskutiert und sich dann dagegen entschieden. Die Verteidigung demonstrierte, wie schwer solche Schilder sind. Sie würden Polizisten behindern bei einem Einsatz in einer engen Wohnung.

«Nichts, aber auch gar nichts, hat mein Mandat falsch gemacht», dies sagte der Verteidiger des Schützen. Dieser habe in reiner Notwehr gehandelt. Trotz seiner Ausrüstung (Helm, Schutzweste) sei sein Leben in höchster Gefahr gewesen. Kurz: Der Einsatz habe den geltenden Reglementen entsprochen. Man würde das heute in der gleichen Situation genau so wieder machen.

Die Positionen von Anklage und Verteidigung liegen also weit auseinander. Die angeklagten Polizeibeamten selber äusserten sich übrigens nicht vor Gericht. Die Urteile des Bezirksgerichts Bremgarten werden am Freitag eröffnet.

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