Bevor die Familiengerichte im Aargau eingeführt wurden, ging die Justiz von rund 80 zusätzlich benötigten Stellen aus. Die Politik bewilligte schliesslich 70 Stellen. Mit diesem Etat nahmen die Gerichte am 1. Januar 2013 ihre Arbeit auf.
Unterdessen sieht man, dass die 70 Stellen nicht reichen. Auch 80 wären zu wenig. Ein von der Justizleitung extern in Auftrag gegebener Bericht spricht nun von 98 Stellen, die nötig wären, um die aktuelle Arbeitslast bewältigen zu können.
Warum die Zunahme? Guido Marbet, Präsident der Justizleitung, ortet als wichtigsten Grund die Professionaliserung im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzrechtes. Früher waren die Gemeinden für das Vormundschaftswesen zuständig. Die Entscheidungswege waren kurz, häufig entschied zum Beispiel der Gemeinderat über Fremdplatzierungen oder Beistände.
Heute kümmern sich bei den Familiengerichten Fachleute, Juristen, Sozialarbeiter und Psychologen um diese Fälle. Sie ordnen dann Massnahmen an. Und hier fällt die zusätzliche Arbeitslast an. Guido Marbet: «Bei der Errichtung der Familiengerichte ging man von einem Erfahrungswert von 1800 Massnahmen aus. Doch jetzt zeigt sich: Nur schon das Prüfen, welche Massnahme die richtige ist, verursacht enorm viel Arbeit. Die Gerichte prüfen pro Jahr 3000 Massnahmen.»
Zeitpunkt für Stellenaufstockung ungünstig
Die Justizleitung braucht nun also massiv mehr Personal bei den Familliengerichten. Sie erarbeitet eine entsprechende Botschaft an den Grossen Rat. Am Dienstag hätte diese Botschaft der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollen. Aber weder Bericht noch Botschaft wurden publik.
Die Justizleitung vertröstete auf später. «Wir wollen das Geschäftsvolumen ganz genau kennen», erklärte Guido Marbet, Präsident der Jusizleitung, vor den Medien. «Auch intern wollen wir die Abläufe bei den Familiengerichten noch einmal durchleuchten, um das Maximum beim Optimierungspotenzial herausholen zu können.»
Die Vorsicht der Justiz ist verständlich. Mehr Stellen zu fordern kurz vor der grossen Debatte im Grossen Rat über die Leisungsanalyse der Regierung (die Linke spricht von einem «knallharten Sparprogramm», die Rechte kritisiert, es würde gar nicht gespart), wäre taktisch sehr unklug.
Deshalb kommt die Botschaft der Justizleitung erst nach den Sommerferien in den Grossen Rat. Sie wird zwei wichtige Punkte enthalten: Erstens die Forderung nach gegen 30 neuen Stellen. Und zweitens die Verlängerung der Projektphase bei der Umsetzung der Familiengerichte.
Ursprünglich hätte das Umsetzungprojekt Mitte 2015 fertig sein sollen. Nun soll die Projektphase bis Ende 2016 verlängert werden. Deshalb sollen die neuen Stellen erst mal bis 2016 befristet sein. Sie würden auch nicht über das reguläre Budget des Kantons finanziert, sondern über eine Spezialfinanzierung. Erst Mitte 2016 will die Justizleitung dem Grossen Rat eine bestimmte Anzahl neuer Stellen beantragen, die dann unbefristet sind.
Noch keine Fallzahlen wegen Informatik-Problemen
Genaue Angaben über die Fallzahlen der Aargauer Familiengerichte finden sich im Geschäftsbericht der Aargauer Gerichte nicht. Grund dafür sind Probleme mit der Informatik, die bei der Umsetzung der Justizreform Anfang 2013 auftraten.
Zu den Aufgaben der Familiengerichte zählen die schon vorher den Bezirksgerichten zugewiesenen familienrechtlichen Verfahren, insbesondere Ehescheidungen und -trennungen, Eheschutzverfahren, Vaterschaftsprozesse und Unterhaltsklagen.
Zudem übernahmen die in die Bezirksgerichte integrierten Familiengerichte die Aufgaben des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts des Bundes. Damit entscheidet neu ein Fachgericht statt der Gemeinderat beispielsweise über Vormundschaften und Beistandsschaften.