Der Abstimmungskampf rund um die beiden Agrarinitiativen ist an Gehässigkeit kaum mehr zu überbieten: Plakate werden zerstört, Befürworterinnen und Gegner beschimpft. Und mehr noch: Die Initiantin der Trinkwasserinitiative hat laut Medienberichten Morddrohungen erhalten, ebenso eine grüne Ständerätin.
Politologe Claude Longchamp sieht einen Trend, der durch Social Media noch verstärkt wird.
SRF News: Wie würden Sie diesen Abstimmungskampf um die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative beschreiben?
Claude Longchamp: Als stark polarisierend. Er hat alle Ingredienzien für eine Polarisierung: räumliche Gegensätze zwischen Stadt und Land, Vorwürfe im Sinne von Angriffswahlkampf und Negative Campaigning. Und zu guter Letzt, die Verstärkung durch die Medien.
Liegt es an den Vorlagen, dass die Stimmung so aufgeheizt ist?
Jein. Die Interessen bei beiden Vorlagen sind sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite jene der bauernnahen Bevölkerung und auf der anderen jene der urbanen, Konsumenten-orientierten Bevölkerung. Wobei diese Polarisierung zwischen Stadt und Land nicht neu ist. Man erinnere sich: Da war der Vorwurf vor allem aus den urbanen Zentren an die kleinen, konservativen Kantone, sie könnten eine Mehrheit mit dem Ständemehr brechen.
Oder der Vorwurf der ländlichen Bevölkerung beim Jagdgesetz, die Umweltorganisationen würden die Schweiz dominieren und ihre Sichtweise durchdrücken, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Landbevölkerung.
Gibt es auch einen Graben in der Landwirtschaft; konventionelle Bäuerinnen und Bauern auf der einen, Biobauern auf der anderen Seite?
Ich sehe dies nur als sekundäre Differenzierung. Bei der Pestizid-Initiative gibt es diesen Graben eher, aber es gibt ja auch Biobauern, die gegen die Trinkwasser-Initiative sind. Auch die politisch bekannten Aushängeschilder sind dagegen. Diese Polarisierung ist doch recht deutlich.
Diese Polarisierung zwischen Stadt und Land ist nicht neu.
Sie beobachten das Politgeschehen in der Schweiz seit Jahrzehnten. Können Sie generell mehr Gehässigkeiten feststellen?
Ja, es hat auch eine Themenverlagerung gegeben. Die Gehässigkeiten waren bisher vor allem bei Ausländerfragen, bei fremdenfeindlichen Themen, bei europapolitischen Abstimmungen typisch. Man könnte auch sagen, bei kulturellen Fragen. Das war lange Zeit das Dominante. Das hat aber eher zwischen der französisch- und der deutschsprachigen Schweiz polarisiert.
Neu ist, dass immer mehr auch wirtschaftliche Organisationen in die Kritik geraten. Damit sind auch die wirtschaftlichen Fragen stärker emotional aufgeladen, die rationalen Argumente zählen weniger.
Hat das auch damit zu tun, dass sich der Abstimmungskampf in die sozialen Medien verlagert?
Ja. Man stellt seit 2016, seit dem US-Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton, weltweit eine verstärkte Tendenz zu sogenanntem Negative Campaigning fest. Das heisst, man wirbt nicht mehr mit den Vorteilen seiner eigenen Position, mit der eigenen Ideologie oder auch mit eigenen wirtschaftlichen Interessen. Sondern man greift den politischen Gegner an. Das hat zwischenzeitlich Schule gemacht, mehr oder weniger bei allem. Ich sehe die sozialen Medien aber eher als Verstärker, nicht als die Ursache.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.