Die Statistik beunruhigt: Man staunt, ja erschrickt, wenn man die Internetseite der unabhängigen Expertenkommission (UEK) anschaut. Man sieht eine Übersicht für das Jahr 1933. Sie zeigt alle Anstalten der Schweiz, in denen Menschen versorgt worden sein könnten. Der Aargau ist von Nord bis Süd und von Ost bis West mit Punkten vollgestellt. Jeder Punkt steht für eine Anstalt. Es hat gegen 100. Im Kanton Zürich sind es viel weniger, nur etwa 60.
Vorsicht ist geboten: Heisst das, dass es im Aargau besonders schlimm war mit dem Versorgen von unbequemen Erwachsenen? Man müsse mit dieser Schlussfolgerung vorsichtig sein, sagt Ernst Guggisberg. Er ist Historiker und hat für die UEK die Zahl der Anstalten zusammengetragen.
Die Liste des Pfarrers: Für das Jahr 1933 habe man eine Hauptquelle gehabt, sagt Guggisberg. Es sei ein Verzeichnis, erstellt von Pfarrer Albert Wild (1870–1950) aus Mönchaltorf, der auch Präsident war der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft: «In dieser Quelle erscheinen am häufigsten die Armenhäuser. Wir stellten fest, dass vor allem in der nördlichen Schweiz und im Aargau viele Armenhäuser aufgelistet sind. Das sagt aber gar nichts darüber aus, ob der Aargau besonders viele Plätze für die administrative Versorgung hatte.» In späteren Jahren erscheinen die Armenhäuser dann nicht mehr in den Quellen. Und ab dann sieht es auch nicht mehr so aus, wie wenn der Aargau besonders viele Versorgungs-Anstalten gehabt hätte.
Administrative Versorgungen
Ein Haus in Brugg: Auch Historiker Titus Meier aus Brugg sagt, man dürfe die Liste aus den 30er-Jahren nicht falsch interpretieren. Armenhäuser habe es wegen der Wirtschaftskrise im Aargau wohl besonders viele gegeben. Auch in Brugg ist so ein Haus verzeichnet. Ob dort aber wirklich administrativ Versorgte untergebracht waren, sei nicht klar: «Das Gebäude ist erwähnt als Gmeindearmenhaus mit gemeinschaftlichem Haushalt. Ich kannte das bis jetzt nicht. War es vielleicht ein Altersheim, das noch Leute aufnahm, die aus finanziellen Gründen keinen Haushalt führen konnten? Das muss man noch genauer anschauen.»
Das muss man noch genauer anschauen.
Die neue Kantons-Geschichte: Titus Meier wartet jetzt die weiteren Forschungsresultate der unabhängigen Expertenkommission ab. Diese wird im Mai 2019 ein Buch veröffentlichen, in dem der Aargau als Fallbeispiel vorkommt. Meier wird Informationen aus dieser Publikation einfliessen lassen in die neue Kantonsgeschichte des Aargaus. Er ist dort als Co-Autor für das Kapitel «Entwicklung des Staatswesens» zuständig. Dieses Buch erscheint 2021.